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Aktuelle Forderungen der Lebenshilfe an die Politik
Menschen mit sogenannter Behinderung brauchen Unterstützung – damit alle gleichberechtigt teilhaben können. Die aktuell wichtigsten Forderungen der Lebenshilfe für Menschen mit Behinderung, ihre Angehörigen und Familien finden Sie hier.
Nichts über uns, ohne uns!
Als Selbstvertreter*innen kämpfen Menschen mit einer sogenannten geistigen Behinderung heute neben Eltern und Fachleuten immer stärker selbst für ihre Belange, umfassende Teilhabe und Inklusion. Allein in der Lebenshilfe sind über 12.000 Menschen mit Behinderung engagiert.
Menschen mit einer sogenannten geistigen Behinderung und ihre Verbände müssen an der Vorbereitung, Beratung und Evaluation von für sie relevanter Gesetzgebung beteiligt werden. Das besagt auch Artikel 4 der UN-BRK.
Die Bundesvereinigung Lebenshilfe fordert:
- Menschen mit geistiger Behinderung und ihre Verbände müssen an der Vorbereitung, Beratung und Evaluation von für sie relevanter Gesetzgebung beteiligt werden.
- Politische Beteiligungsprozesse müssen so barrierefrei gestaltet werden, dass sich auch Selbstvertreter*innen mit sogenannter geistiger Behinderung beteiligen können.
Inklusive Kinder- und Jugendhilfe
Seit Jahren laufen die Vorarbeiten für eine Reform der Kinder- und Jugendhilfe (Sozialgesetzbuch Acht bzw. SGB VIII). Mit dieser Reform soll das Jugendamt für alle Leistungen der Eingliederungshilfe für Kinder und Jugendliche mit Behinderung zuständig werden. Familien mit einem behinderten Kind sollen unabhängig von der Art der Beeinträchtigung alle Hilfen künftig von einem Amt erhalten. Doppelbegutachtungen, Verschiebungen aufgrund unklarer Zuständigkeiten von Behörden und mangelhafte Beratungen könnten dann endlich der Vergangenheit angehören.
Im Herbst 2024 wurde bereits ein sehr guter Entwurf vorgelegt, zu welchem die Bundesvereinigung Lebenshilfe Stellung genommen hat. Das Gesetz stand kurz vor der Zustimmung des Kabinetts – dann zerbrach mit dem Ampel-Aus die Bundesregierung. Laut Gesetz (§ 108 Absatz 1 SGB VIII) muss bis zum 1. Januar 2027 das Reformgesetz in Kraft treten, damit der geplante und von vielen Kommunen und Ländern bereits vorbereitete Zuständigkeitswechsel stattfinden kann.
Daher ist es zwingend erforderlich, dass eine neue Bundesregierung zeitnah im Sommer 2025 die Arbeiten am Inklusiven Kinder- und Jugendhilfegesetz (IKJHG) wieder aufnimmt und das Gesetzgebungsverfahren zum Abschluss bringt. Nur so können verlässliche Rahmenbedingungen geschaffen werden, die insbesondere auch eine deutliche Verbesserung der finanziellen, rechtlichen und personellen Ausstattung der inklusiven, öffentlichen und freien Jugendhilfe umfasst.
Die Bundesvereinigung Lebenshilfe fordert:
- Das zeitnahe Wiederaufnehmen der Arbeiten am Inklusiven Kinder- und Jugendhilfegesetz (IKJHG) im Sommer 2025 und dessen Verabschiedung von Bundestag und Bundesrat.
- Die Freistellung von der Heranziehung des Einkommens oder Vermögens der Eltern aller Leistungen der Eingliederungshilfe an Kinder und Jugendliche.
- Verbindliche Reglungen zur Schaffung der erforderlichen ambulanten Leistungen insbesondere der Eingliederungshilfe im SGB VIII.
- Die Verschiebung der Gerichtsbarkeit für alle Leistungen und Hilfen der Kinder- und Jugendhilfe aus der Verwaltungs- in die Sozialgerichtsbarkeit.
Soziale Teilhabe – Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes
Menschen mit Behinderung brauchen Leistungen zur Sozialen Teilhabe. Diese sind im Sozialgesetzbuch Neun (SGB IX) geregelt. Hierzu gehören Leistungen für Wohnraum, Assistenzleistungen sowie heilpädagogische Leistungen, Leistungen zum Erwerb und Erhalt praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten, zur Förderung der Verständigung, zur Mobilität und Hilfsmittel.
All diese elementaren Leistungen zur Sozialen Teilhabe werden durch Lebenshilfen erbracht und durch die kommunalen oder überörtlichen Eingliederungshilfeträger finanziert. Leider hat die schleppende Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes in den vergangenen fünf Jahren noch nicht dazu geführt, dass alle Leistungen zur Sozialen Teilhabe bedarfsgerecht und personenzentriert nach den Vorgaben des Gesetzes angeboten werden können.
Die Bundesvereinigung Lebenshilfe fordert:
- Der für Frühjahr 2025 angekündigte Abschlussbericht zur Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes muss von Bundesregierung und Bundestag wahrgenommen und ernsthaft diskutiert werden.
- Der Bericht muss die Grundlage für Nachbesserungen der noch nicht oder bisher falsch umgesetzten Regelungen aus dem Bundesteilhabegesetz werden.
- Dies gilt insbesondere in Bezug auf die bisher noch unzureichende Schaffung personenzentrierter Angebote zur Sozialen Teilhabe gerade auch für Menschen mit komplexen Behinderungen und hohen Unterstützungsbedarfen.
Nationaler Länder-Bund-Aktionsplan für Inklusion in Bildung und Arbeit
Der Ausschuss der Vereinten Nationen zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention hat von Deutschland bei seiner letzten Staatenprüfung (2023) erhebliche Anstrengungen zur Schaffung eines inklusiven Schulsystems und Arbeitsmarktes gefordert. Die bisherige Herangehensweise Deutschlands, wonach Förderschulen sowie Werkstätten für behinderte Menschen als Teil eines inklusiven Systems angesehen werden, ist nicht mit der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen vereinbar.
Die Bundesvereinigung Lebenshilfe fordert:
- Einen Länder-Bund-Aktionsplan für Inklusion. Dieser ist mit Beteiligung der Menschen mit Behinderung und ihrer Verbände aufzustellen. Schwerpunkte des Aktionsplans sollen die Bereiche Bildung und Arbeit sein. Hierfür sind konkrete Maßnahmen und Zeitpläne festzulegen.
- Ziel des Länder-Bund-Aktionsplan muss es sein:
- Allen jungen Menschen mit Behinderungen unabhängig von ihrem Wohnort ihr Recht auf inklusive Bildung unter angemessenen Bedingungen zu ermöglichen.
- Inklusive, barrierefreie Arbeitsplätze in allen Unternehmen auf- und auszubauen sowie die Werkstätten für behinderte Menschen zu Kompetenzzentren weiterzuentwickeln.
- Die berufliche Bildung durch individuelle Förderung, längere Dauer (von zwei auf mindestens drei Jahre) und das Schaffen anerkannter Abschlüsse so zu verbessern, dass eine Vorbereitung auf die Arbeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt stattfindet.
- Eine gerechte Entlohnung von Menschen mit Behinderung, auch wenn sie bei der Arbeit Unterstützung in oder von Werkstätten erhalten, die sie unabhängig von Grundsicherungsleistungen macht, z. B. durch einen subventionierten Mindestlohn.
- Eine angemessene Alterssicherung ist unverzichtbar. Der rentenrechtliche Status quo ist somit unbedingt aufrechtzuerhalten, damit Menschen mit Behinderung auch im Alter unabhängig von existenzsichernden Leistungen leben können. Der Nachteilsausgleich Rente muss zeitnah – noch 2025 – auch im Budget für Arbeit zur Verfügung stehen.
- Die Position der Lebenshilfe mit neun Forderungen zur Reform der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (in schwerer und Leichter Sprache). Ein Angebot der BVLH.
- Dringender Handlungsbedarf bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechts-konvention – Artikel 24 Gemeinsamer Offener Brief an das Bundesministerium für Arbeit und Soziales.
- Teilhabe am Arbeitsleben für Menschen mit sogenannter Behinderung Ein Angebot der BVLH.
- Ausbildung für Menschen mit sogenannter Behinderung Ein Angebot der BVLH.
Sozialen und barrierefreien Wohnraum schaffen
Das Einkommen vieler Menschen mit Behinderung ist gering. Laut dem Zweiten Teilhabebericht der Bundesregierung liegt das Armutsrisiko von Menschen mit Behinderung bei 20 Prozent. Durch den Wohnungsmangel sowie massiv steigende Mieten (vor allem in Ballungszentren) haben immer mehr Menschen mit Behinderung enorme Schwierigkeiten eine barrierefreie und bezahlbare Wohnung oder WG zu finden.
Viele Menschen mit Behinderung leben in besonderen Wohnformen, obgleich sie lieber in einer eigenen Wohnung leben würden. Das Recht auf Unterstützung in der eigenen Wohnung scheitert jedoch häufig am nicht vorhandenen passenden Wohnraum (vgl. § 104 Absatz 3 Satz 3 SGB IX und Artikel 19 UN-BRK).
Die Bundesvereinigung Lebenshilfe fordert:
- Die Bundesregierung muss mit den Bundesländern den Bau bzw. Umbau von barrierefreiem und bezahlbarem Wohnraum zum gemeinsamen Schwerpunkt ihrer Politik machen.
- Der soziale Wohnungsbau sollte zu 100 Prozent nur barrierefreie Wohnungen fördern. Die Ausnahme in § 50 Absatz 3 der Musterbauordnung, wonach von der Pflicht zum Bau barrierefreier Wohnungen abgewichen werden kann, ist zu streichen.
Menschen mit komplexer Behinderung und ihre Familien
Menschen mit komplexen Behinderungen und hohem Assistenzbedarf werden häufig lange und umfassend von ihren Familien unterstützt. Die zeitlichen Bedürfnisse von Familie, Schule und Arbeitswelt sind oft schwer zu vereinbaren. Mangels ausreichender Betreuungs- und Unterstützungsangebote arbeitet häufig ein Elternteil nicht oder in Teilzeit. In der Regel sind es die Mütter, die beruflich zurückstecken.
Die besonders gravierenden Unterstützungsbedarfe und Inklusionshürden von Eltern von Kindern mit Beeinträchtigung und der daraus resultierende politische Handlungsbedarf sind in der Studie vom November 2022 belegt, die im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales erstellt wurde.
Die Bundesvereinigung Lebenshilfe fordert:
- Die zeitnahe Einführung einer neuen Lohnersatzleistung für pflegebedingte Auszeiten nach dem Vorbild des Elterngeldes auch für Angehörige von Menschen mit Behinderung, die in bestimmten Lebensphasen Zeit für die Betreuung und Unterstützung ihrer Angehörigen benötigen.
- Die Einführung einer niedrigschwelligen Familienentlastungsleistung für alltagspraktische haushaltsnahe Unterstützungs- oder Betreuungsleistungen für belastete Familien im Recht der Kinder- und Jugendhilfe.
Barrierefreiheit und Leichte Sprache
Barrierefreiheit in allen Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens ist Voraussetzung für Inklusion. Nur wenn der ÖPNV, Gaststätten, Gewerbe, Freizeit- und Sportanbieter, Kunst und Kultur, der Gesundheitssektor und vieles mehr barrierefrei sind, werden Menschen mit Behinderungen in der Lage sein, teils ohne oder mit wenig individueller Assistenz am Leben in der Gesellschaft teilzuhaben. Bisher sind die hierfür erforderlichen Änderungen im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz und Behindertengleichstellungsgesetz nicht verabschiedet worden. Leichte Sprache ist eines von vielen Mitteln zur Herstellung von Barrierefreiheit.
Die Bundesvereinigung Lebenshilfe fordert:
- Deutschland muss in allen Lebensbereichen des öffentlichen und privaten Lebens barrierefrei werden.
- Das Behindertengleichstellungsgesetz und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz müssen reformiert werden, so dass auch private Anbieter von Gütern und Dienstleistungen zum Abbau von Barrieren oder zum Ergreifen angemessener Vorkehrungen verpflichtet werden.
Nächste Schritte für ein inklusives und barrierefreies Gesundheitswesen
Medizinische Zentren für erwachsene Menschen mit Behinderung ergänzen fachlich die Versorgung durch Haus- und Fachärzte, deren Praxen zudem nur zu 21 % für mobilitätsbeeinträchtigte Menschen barrierefrei sind. Diese Zentren müssen weiter ausgebaut werden. Außerdem muss auch in Krankenhäusern ein Netz an spezialisierten Angeboten geschaffen werden. Bestehende – teils gravierende – Defizite in der Versorgung mit Hilfsmitteln und in der außerklinischen Intensivpflege müssen beseitigt werden.
Die Bundesvereinigung Lebenshilfe fordert:
- Die Maßnahmen aus dem 2024 erarbeiteten Aktionsplan für ein diverses, inklusives und barrierefreies Gesundheitswesen müssen sukzessive umgesetzt werden.
- Anforderungen an einen Aktionsplan für ein diverses, inklusives und barrierefreies Gesundheitswesen Gemeinsames Positionspapier der BVLH mit dem DBR.
- Gesundheitliche Versorgungsplanung für Menschen mit Behinderung Ein Angebot der BVLH.
- Was zahlt die Krankenkasse? Ein Angebot der BVLH.
- Leistungen der Pflegeversicherung Ein Angebot der BVLH.
Menschen mit Behinderung und Migrationshintergrund / Fluchterfahrung
Geflüchtete Menschen mit Behinderung müssen schnell und unbürokratisch die notwendige Unterstützung erhalten. Dazu gehört auch ihr Zugang zu den Leistungen der Eingliederungshilfe. Hierfür ist es erforderlich, § 100 Abs. 2 SGB IX aufzuheben. Nach dieser Vorschrift haben Menschen, die nach dem Asylbewerberleistungsgesetz leistungsberechtigt sind, keinen Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung.
Auch dürfen Menschen mit Behinderung beim Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit keine Nachteile erfahren. Eine neue Regelung im Staatsangehörigkeitsgesetz formuliert für Menschen mit Behinderung für den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit keine Ausnahme mehr, wenn sie behinderungsbedingt Grundsicherungsleistungen beziehen. Dies gilt auch für ihre Angehörigen, wenn sie aufgrund der Pflege ihren Unterhalt nicht selbst bestreiten können. Damit sind sie vom Erwerb der Staatsangehörigkeit ausgeschlossen. Dies hält die Lebenshilfe für verfassungswidrig und einen Verstoß gegen Artikel 18 UN-BRK.
Die Bundesvereinigung Lebenshilfe fordert:
- Die konsequente Umsetzung der EU-Aufnahmerichtlinie (2013/33/EU) in nationales Recht. Das bedeutet insbesondere auch die Erhebung des Merkmals Behinderung bei der Aufnahme und die Ermittlung der Unterstützungsbedarfe (Art. 21 und Art. 22 Abs. 1 der RiLi).
- Das Aufheben der aufenthaltsrechtlichen Zugangsbeschränkungen zu den Leistungen auf Rehabilitation und Teilhabe sowie die Streichung des § 100 Abs. 2 im SGB IX.
- Den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit für Menschen mit Behinderung, die behinderungsbedingt Grundsicherung beziehen, wie auch für ihre pflegenden Angehörigen wieder zu ermöglichen (Rückgängigmachen der Änderung in § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StAG).
- Forderungspapier der Fachverbände für Menschen mit Behinderung zur Verbesserung der Teilhabe von Menschen mit Behinderungen und Migrations- oder Fluchthintergrund Ein Angebot der Fachverbände für Menschen mit Behinderung.
- Stellungnahme der Fachverbände für Menschen mit Behinderung zum Referentenentwurf für ein Gesetz zur Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts Ein Angebot der Fachverbände für Menschen mit Behinderung.
- Migration und Behinderung Ein Angebot der BVLH.
Fachkräftemangel entgegenwirken
Der Fachkräftemangel nimmt bei Anbietern der Lebenshilfe zum Teil dramatische Formen an und führt sogar dazu, dass Angebote für Menschen mit Behinderung wegfallen.
Die Bundesvereinigung Lebenshilfe fordert:
- Einen "Gipfel zum Arbeits- und Fachkräftemangel in der Eingliederungshilfe", der die verschiedenen Akteure zusammenführt und den dringenden Handlungsbedarf verdeutlicht.
- Schulgeldfreiheit und eine praxisintegrierte, bundesweit vergleichbare und in allen Bundesländern anerkannte HEP-Ausbildung, die auch berufsbegleitend möglich ist.
- Begrenzen der Leiharbeit in der Daseinsfürsorge durch gesetzliche Regelungen, z. B. über Begrenzung der Dauer des Einsatzes bzw. des Anteils bei der Anrechnung von Fachkräften oder die Berücksichtigung von Lohngleichheit.
Die Lebenshilfe ist deutschlandweit Arbeitgeberin im Bereich der Behindertenhilfe. Auf diesen Seiten rund um Soziale Berufe geben wir Interessierten einen ersten Überblick.