Barrierefreiheit für Menschen mit Behinderung in Deutschland
Menschen mit sogenannter Behinderung haben das Recht auf volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft – also auf Barrierefreiheit. Oft verhindern Barrieren im Alltag Inklusion und Teilhabe. Das führt dazu, dass aus Beeinträchtigungen erst Behinderungen werden.
Was heißt Barrierefreiheit eigentlich?
Räumliche Barrierefreiheit
Bei Barrierefreiheit geht es um die Gestaltung des allgemeinen Lebensumfeldes für alle Menschen. Das heißt zum Beispiel, dass Orte so gestaltet werden, dass sie für alle Menschen ohne fremde Hilfe zugänglich sind. Gemeint sind:
- Gebäude und öffentliche Orte
- Arbeitsplätze und Wohnungen
- Verkehrsmittel und Gebrauchsgegenstände
- Dienstleistungen und Freizeitangebote
Design für alle: Das Konzept “Design für Alle” (DfA) sorgt für mehr Zugänglichkeit. Es zielt von Anfang an auf Inklusion ab. Es geht um den Einbezug der Nutzer*innen in die Gestaltung ihrer Umwelt.
Kommunikative Barrierefreiheit
Neben räumlicher Barrierefreiheit gibt es auch andere Bereiche des Lebens, in denen Barrieren abgebaut werden müssen. Zum Beispiel:
- Barrierefreie Informationen (z. B. Nachrichten)
- Barrierefreie Kommunikation (z. B. Leichte Sprache)
- Digitale Barrierefreiheit im Internet (z. B. Vorlese-Funktionen)
- Für Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung ist insbesondere die Verwendung von Leichter Sprache wichtig, um Barrieren abzubauen. Zum Beispiel sind Texte in Leichter Sprache für sie einfacher zu lesen und oft besser zu verstehen (als in schwerer Sprache).
- Die Bundesvereinigung Lebenshilfe stellt viele Informationen in Leichter Sprache zur Verfügung, z. B. zu Wahlen und zum inklusiven Wahlrecht.
- In unserem Wörterbuch in Leichter Sprache erklären wir außerdem viele komplizierte Begriffe mit einfachen Worten. Denn auch die Verwendung von Fachsprachen oder Fremdsprachen kann Barrieren aufbauen. Schließlich wissen zum Beispiel nicht alle, was ein Download, eine Mail oder ein Link sind. Das muss bei der Erstellung barrierefreier Apps und auf barrierefreien Webseiten berücksichtigt werden.
Warum ist Barrierefreiheit wichtig?
Barrierefreiheit ist ein Menschenrecht und wichtig für Inklusion. Immer dann, wenn Menschen auf Barrieren stoßen, bleibt ihnen die volle Teilhabe an der Gesellschaft und somit ein selbstbestimmtes Leben verwehrt. Barrieren stehen nicht nur Menschen mit Beeinträchtigung im Weg, sondern auch anderen Personenkreisen. Beispiele sind:
- Kinder und ihren Eltern
- Menschen mit Migrationshintergrund
- Senioren oder Menschen mit einer Erkrankung
- Menschen, die nur vorübergehend in ihrer Mobilität eingeschränkt sind
Deshalb geht Barrierefreiheit uns alle an. Zum Beispiel hilft ein Aufzug in einer Arztpraxis nicht nur Eltern mit Kinderwagen. Er hilft auch älteren Menschen oder einem Menschen, der durch eine Verletzung Schwierigkeiten beim Treppensteigen hat. Informationen zum Betreuungsrecht in Leichter Sprache nutzen nicht nur Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung. Sie können zum Beispiel auch Menschen helfen, die nicht gut deutsch sprechen oder kaum lesen können. Von Barrierefreiheit profitieren alle.
Orte für alle: Mit der Kampagne #OrteFürAlle macht die Aktion Mensch auf die Probleme aufmerksam, die Barrieren im Alltag verursachen. Sie zeigt, wie wichtig Barrierefreiheit für Teilhabe und Inklusion ist.
Barrierefreiheit und die UN-Behindertenrechtskonvention
Barrierefreiheit ist ein zentrales Thema der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK). Sie fordert in Artikel 9 ein Ende der Benachteiligung durch den Abbau von baulichen, kommunikativen und strukturellen Barrieren. Auch Deutschland hat sich dazu verpflichtet, Barrieren abzubauen und für mehr Barrierefreiheit zu sorgen.
Was bedeutet die Umsetzung des Artikels 9 der UN-BRK für Leistungserbringer der Eingliederungshilfe? Sie müssen einen barrierefreien Zugang und barrierefreie Bewegung in ihren Gebäuden ermöglichen. Außerdem müssen sie für Menschen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen passende Kommunikationsmittel zugänglich zu machen. Zum Beispiel Informationen in Blindenschrift oder in Leichter Sprache. In diesem Zusammenhang gewinnt die digitale Barrierefreiheit zunehmend an Bedeutung.
Erfahrungen mit Aktionsplänen zur Umsetzung der UN-BRK haben gezeigt, dass es genauso wichtig ist, Barrierefreiheit strukturell in Organisationen zu verankern. Zum Beispiel durch die Bildung einer Kommission, die mit der Ausgestaltung von Barrierefreiheit beauftragt wird und Menschen mit Beeinträchtigung bei der Planung von baulichen Maßnahmen als Experten in eigener Sache einbezieht.
Eine Sammlung aller Aktionspläne von Organisationen und Einrichtungen (u. a. auch der Lebenshilfe Hannover) finden Sie auf der Website des Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS).
Barrierefreiheit in Deutschland
Vorreiter für die gesetzliche Definition von Barrierefreiheit in Deutschland ist § 4 des Behinderten-Gleichstellungs-Gesetzes (BGG). Das Gesetz beinhaltet aber nicht nur eine Definition von Barrierefreiheit. Es verpflichtet außerdem die Träger öffentlicher Gewalt auf Bundesebene die Vorgaben zur Barrierefreiheit einzuhalten.
Barrierefreie Bundesverwaltung
Das Behinderten-Gleichstellungs-Gesetz sieht im Bereich der Bundesverwaltung etwa die folgenden Punkte vor:
- Gebäude: Zivile Neu-, Um- und Erweiterungsbauten müssen barrierefrei gestaltet werden.
- Online-Angebote: Websites und mobile Anwendungen des Bundes müssen barrierefrei sein.
- Kommunikation: Menschen mit Hör- und Sprachbeeinträchtigung haben das Recht, in Gebärdensprache oder über andere geeignete Kommunikationshilfen mit den Trägern öffentlicher Gewalt zu kommunizieren.
- Sprache: Die Träger öffentlicher Gewalt sollen gegenüber Menschen mit kognitiver oder seelischer Beeinträchtigung einfache und verständliche Sprache verwenden.
- Auch Schriftstücke, wie Bescheide und Vordrucke, sollen auf Verlangen in einfacher und verständlicher Weise oder – sofern dies nicht ausreicht – in Leichter Sprache erläutert werden.
- Allgemein sollen vermehrt Informationen in Leichter Sprache bereitgestellt werden.
- Assistenzhunde: Menschen mit Beeinträchtigung dürfen ihren Assistenzhund in Arztpraxen, Geschäfte oder Behörden mitnehmen.
Werden diese Vorgaben nicht berücksichtigt, können sich Menschen mit sogenannter Behinderung kostenlos an die Schlichtungsstelle wenden oder auf die Einhaltung ihrer Rechte vor Gericht klagen. Der Bericht der Schlichtungsstelle stellt einige Beispielsfälle vor.
Hinweis: Auf Landesebene finden sich größtenteils ähnliche Regelungen in den Gleichstellungsgesetzen der 16 Bundesländer.
Barrierefreie Privatwirtschaft
In anderen Bereichen werden rechtliche Vorgaben zur Barrierefreiheit dagegen oft aufgrund von Ausnahmeregelungen nicht umgesetzt oder fehlen ganz. Viele Angebote sind immer noch nicht für Menschen mit sogenannter Behinderung zugänglich. Insbesondere in diesen Bereichen:
- Wohnen
- Verkehr
- Privatwirtschaft
Ab dem 28. Juni 2025 wird sich dies jedoch zumindest für Teile der Privatwirtschaft ändern: mit dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz. Bereits am 22. Juli 2021 wurde es im Bundesgesetzblatt verkündet. Zukünftig werden auch private Anbieter von bestimmten Waren und Dienstleistungen zur Barrierefreiheit verpflichtet.
Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz
Im Einzelnen geht es vor allem um die Herstellung digitaler Barrierefreiheit. Barrierefrei sein müssen künftig:
- Computer, Selbstbedienungsterminals, Handys, Tablets und E-Book-Lesegeräte
- Online-Handel, Telekommunikationsdienste, Bankdienstleistungen
- Bestimmte Elemente von Personenbeförderungsdiensten, wie Websites oder Apps
Demgegenüber gilt die Pflicht zur Barrierefreiheit nicht für die bauliche Umwelt. Gemeint sind die Gebäude, in denen Dienstleistungen und Produkte angeboten beziehungsweise erbracht werden. Das heißt, der Geldautomat muss künftig barrierefrei sein – aber nicht das Gebäude, in dem er steht (vgl. die Stellungnahme der Bundesvereinigung Lebenshilfe zu diesem und weiteren Kritikpunkten).
Die Vorgaben des Gesetzes gelten nicht uneingeschränkt. So müssen Kleinstunternehmen, die Dienstleistungen erbringen, die Barrierefreiheitsanforderungen nicht erfüllen. Die Anforderungen gelten außerdem nicht, wenn ihre Einhaltung zu einer "unverhältnismäßigen Belastung" der Unternehmen führen würde.
Rechtsschutz
Stellen Verbraucher*innen fest, dass ein Produkt oder eine Dienstleistung nicht barrierefrei ist, haben sie die Möglichkeit sich an die Schlichtungsstelle zu wenden. Das Schlichtungsverfahren ist kostenfrei.
Außerdem können sie bei der Marktüberwachungsbehörde die Durchführung von Maßnahmen der Marktüberwachung beantragen. Wird der Antrag abgelehnt, kann gegen diese Entscheidung vor den Verwaltungsgerichten geklagt werden.
Schließlich stehen ihnen die zivilrechtlichen Ansprüche nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) zu, wenn sie bspw. ein Produkt gekauft oder eine Dienstleistung in Anspruch genommen haben, und diese aufgrund von fehlender Barrierefreiheit mangelhaft war (vgl. etwa § 281 BGB).
Lange Übergangsfristen
Bis diese Änderungen für Menschen mit sogenannter Behinderung spürbar sind, wird es allerdings noch etwas dauern. Zum einen treten die Regelungen erst zum 28. Juni 2025 in Kraft. Zum anderen sind für bestimmte Bereiche Übergangsfristen bis längstens zum 27. Juni 2040 vorgesehen.
Eine Verpflichtung der gesamten Privatwirtschaft zur Barrierefreiheit ist bislang nicht vorgesehen, obwohl sich die Regierung im Koalitionsvertrag 2021–2025 (KoaV) darauf verständigt hatte (S. 61 KoaV). Dort heißt es:
Koalitionsvertrag 2021–2025Wir verpflichten in dieser Wahlperiode private Anbieter von Gütern und Dienstleistungen, innerhalb einer angemessenen Übergangsfrist zum Abbau von Barrieren oder, sofern dies nicht möglich oder zumutbar ist, zum Ergreifen angemessener Vorkehrungen.
SPD | Bündnis 90 / Die Grünen | FDP
Barrierefreiheit im Wohnen
Die UN-BRK gibt vor, dass Menschen mit Beeinträchtigung die gleichen Rechte auf ein selbstbestimmtes Leben und uneingeschränkte Teilhabe an der Gesellschaft haben. Dies schließt den Zugang zu barrierefreiem und bezahlbarem Wohnraum ein.
Der UN-Fachausschuss fordert zudem für Deutschland, bis 2025 einen partizipativen Prozess zur Deinstitutionalisierung anzustoßen. Unterstützung soll zukünftig personenzentriert und ambulant bereitgestellt werden. Derzeit leben in Deutschland fast 50 Prozent der Menschen mit Beeinträchtigung die Wohnleistungen beziehen in Sondereinrichtungen.
Da kein ausreichendes Angebot an barrierefreiem Wohnraum zur Verfügung steht, setzt sich die Bundesregierung im Bereich Bauen und Wohnen dafür ein, Barrieren abzubauen und Barrierefreiheit zu einem Qualitätsstandard zu machen. Die Förderung von bezahlbarem und barrierefreiem Wohnraum ist ein Schwerpunkt der Arbeit des Bündnis bezahlbarer Wohnraum (BMWSB), in dem die Bundesregierung mit 35 Bündnis-Mitgliedern 187 Maßnahmen für eine Bau-, Investitions- und Innovationsoffensive erarbeitet hat.
Wichtig zu wissen: Laut dem Mikrozensus 2021 sind nur rund zwei Prozent der Wohnungen in Deutschland barrierefrei oder barrierearm. Bundesweit fehlen mehrere hunderttausend Wohnungen, und der Bedarf an barrierefreien Wohnungen wird bis 2035 erheblich ansteigen. Benachteiligte Gruppen, zu denen Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung zählen, sind besonders von Ausgrenzung auf einem derartig von Wohnraummangel gezeichneten Markt betroffen.
Wollen Menschen mit komplexem Unterstützungsbedarf in eine selbstständigere Wohnform umziehen, sind sie besonders benachteiligt. Sie benötigen neben barrierefreiem Wohnraum auch technische Assistenzlösungen, um ihren Alltag selbstbestimmter zu gestalten. Zum Beispiel:
- Sensoren zur Sturzerkennung
- Smarthome-Lösungen
- Öffentliche oder nachbarschaftliche Notrufmöglichkeiten
Hilfreich bei der Nutzung moderner Technologien sind sogenannte “Ambient Assisted Living”-Modelle (AAL). Sie bieten alltagstaugliche Assistenzlösungen für ein selbstbestimmtes Leben.
Selbstständig in den eigenen vier Wänden leben, von Technik unterstützt, gut eingebunden ins Quartier: das kann funktionieren. Und darum geht es bei den Wohnprojekten für Menschen mit komplexem Unterstützungsbedarf, die der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) mit dem sogenannten “SeWo-Programm” fördert. Im Jahr 2023 hat das Institut für Teilhabeforschung der Katholischen Hochschule NRW in Münster (KatHO NRW) einen Evaluationsbericht seiner wissenschaftlichen Begleitung veröffentlicht. Weitere gelungene Beispiele für barrierefreie Quartiersprojekte und inklusive WGs, wie etwa in Hamburg, oder in Köln finden Sie unter anderem auf der Website der Aktion Mensch.
Barrierefreiheit beim Bauen
In Deutschland gibt es Regelungen, die eine Pflicht zum barrierefreien Bauen vorsehen. So müssen zivile Neu-, Um- und Erweiterungsbauten, die im Eigentum des Bundes stehen, barrierefrei gestaltet werden (§ 8 BGG).
Die Anforderungen an gemeinschaftliche Wohnformen und Beherbergungsstätten, die den Landesheimgesetzen unterfallen, finden sich in den diesbezüglichen Heimmindestbauverordnungen der Bundesländer oder – sofern die Länder noch keine entsprechenden Verordnungen erlassen haben – in der Heimmindestbauverordnung auf Bundesebene.
Für den privaten Bereich ergibt sich die Pflicht zum barrierefreien Bauen aus den Landesbauordnungen. Die Musterbauordnung, die als Grundlage zur Erarbeitung der jeweiligen Landesbauordnung dient, sieht vor, dass in Gebäuden mit mehr als zwei Wohnungen, die Wohnungen eines Geschosses barrierefrei sein müssen (§ 50 Absatz 1). Gleiches gilt für öffentlich zugängliche bauliche Anlagen, wie bspw. Restaurants oder Geschäfte aber auch Gesundheitseinrichtungen oder Freizeitanlagen (§ 50 Absatz 2).
Hinweis: Trotz dieser allgemeinen Vorgabe in der Musterbauordnung unterscheiden sich die Bestimmungen in den einzelnen Landesbauordnungen. Eine Übersicht über die jeweils geltenden Regelungen gibt es hier.
Für eine barrierefreie Planung oder Umgestaltung von Wohnraum und öffentlichen Gebäuden sind außerdem die DIN-Normen vom Deutschen Institut für Normung zu beachten. Aktuell gilt für einen barrierefreien Neu- und Umbau von Wohnungen und deren Außenanlagen die DIN-Norm 18040-2 und für öffentliche Gebäude die DIN-Norm 18040-1.
Je nach Art der Beeinträchtigung sind die Anforderungen an einen Wohnraum unterschiedlich, deshalb ist eine Beratung empfehlenswert, u. a. bei der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungsanpassung e. V. oder dem Verein Barrierefrei Leben e. V. Weitere Informationen hierzu finden Sie im Familienratgeber der Aktion Mensch.
Trotz dieser Vorgaben sind die meisten Gebäude allerdings immer noch nicht barrierefrei. Das liegt zum einen daran, dass die Pflicht zum barrierefreien Bauen nicht uneingeschränkt gilt. Ausnahmen können zum Beispiel gemacht werden, wenn die Herstellung der Barrierefreiheit einen “unverhältnismäßigen Mehraufwand” darstellt. Außerdem führen die Regelungen nicht dazu, dass bereits bestehende Gebäude, die nicht barrierefrei sind, umgebaut werden müssen.
Barrierefreiheit im Straßenverkehr
Barrierefreie Angebote im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) sowie Mobilitäts-Angebote, die auf Abruf bestellbar sind (On-Demand-Angebote), sind für Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung oft nicht gut nutzbar. Hier müssen Barrieren abgebaut werden, damit alle Menschen schnell, einfach und selbstbestimmt von Ort zu Ort gelangen können. Gesetzlich war eigentlich vorgesehen, dass der ÖPNV bis zum 1. Januar 2022 barrierefrei ist. Das steht in § 8 Absatz 3 Satz 3 Personenbeförderungsgesetz (PBefG). Seit dem 1. August 2021 fallen auch On-Demand Mobilitätsangebote unter den ÖPNV und damit unter die Vorgabe zur Barrierefreiheit, wenn es sich um sogenannten Linienbedarfsverkehr handelt (§ 44 in Verbindung mit § 8 Absatz 1 und 3 PBefG).
Die Zielvorgabe, einen barrierefreien ÖPNV zu schaffen, ist jedoch bislang nicht erreicht. Zudem können auch hier wieder begründete Ausnahmen im Nahverkehrsplan vorgesehen werden. Die Bundesregierung hat sich daher im Koalitionsvertrag 2021–2025 darauf geeinigt, die Ausnahmemöglichkeiten bis 2026 gänzlich abzuschaffen.
Taxen und neue On-Demand-Mobilitätsangebote, die nicht dem Linienbedarfsverkehr unterfallen, sind von der Zielvorgabe zur Barrierefreiheit des ÖPNV nicht erfasst. Allerdings gibt es seit dem 1. August 2021 auch für Taxen eine gesetzliche Regelung zur Barrierefreiheit. Danach sollen die Belange von Menschen mit körperlichen oder Sinnesbeeinträchtigungen berücksichtigt werden, um eine möglichst weitgehende Barrierefreiheit zu erreichen. Haben Unternehmer 20 oder mehr Fahrzeuge, müssen davon 5% barrierefrei sein (§ 64c Absatz 1 PBefG).
Diese Regelung gilt gleichermaßen für neue On-Demand-Mobilitätsangebote, wenn es sich dabei um sogenannten gebündelten Bedarfsverkehr handelt (§ 64c Absatz 1 PBefG).
In einem Fachbeitrag der Zeitschrift Teilhabe setzt sich Eva Konieczny, mit dem Thema „Mobilität für Alle“ auseinander und erklärt, was dabei für Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung zu berücksichtigen ist. Hier geht es zur kostenlosen Leseprobe.
Barrierefreiheit im Internet
Was bedeutet Barrierefreiheit im Web eigentlich? Auch im Internet gibt es viele (digitale) Barrieren. Längst nicht alle Angebote, Inhalte oder Informationen sind für alle Menschen gleichermaßen uneingeschränkt zugänglich.
- Digitale Barrieren bei der Wahrnehmung: Das beginnt bereits bei der Schriftgröße von Text. Ist sie zu klein und nicht skalierbar, können viele Menschen sie nicht richtig lesen. Auch wenn Inhalte hauptsächlich über Bilder erklärt werden, sind Menschen mit Sehbeeinträchtigung benachteiligt. Hier braucht es etwa Alternativtexte und angepasste Angebote mit Berücksichtigung von Kontrasten, Farben usw. Wird ein Thema über ein Video erklärt, braucht es Untertitel und im Idealfall auch Gebärdensprache für Menschen mit eingeschränktem Seh- und/oder Hörvermögen.
- Digitale Barrieren bei der Bedienung: Auch technisch müssen viele Aspekte wie das verwendete Endgerät berücksichtigt werden (Smartphone, Laptop usw.). Viele Menschen brauchen Hilfsmittel zur Bedienung, wie etwa eine Sprachsteuerung (unterstützte Kommunikation). Websites und Online-Angebote müssen darauf angepasst werden, um digitale Barrierefreiheit zu ermöglichen.
- Digitale Barrieren bei der Verständlichkeit: Ist die Bedienung einer App zu kompliziert oder setzt bestimmte Kenntnisse voraus, ist sie nicht mehr barrierefrei.
Richtlinien für barrierefreie Webinhalte
Vorgaben zur barrierefreien Gestaltung von Webseiten und Apps bieten die Web Content Accessibility Guidelines (WCAG). Sie sind seit Jahren ein EU-Standard zur Gestaltung barrierefreier Internetangebote. Allerdings sind die Vorgaben und Empfehlungen der WCAG nicht verbindlich.
Eine Verpflichtung zur barrierefreien Gestaltung von Websites und Apps gibt es bislang nur für die öffentlichen Stellen. Für den Bund ergibt sich diese Verpflichtung aus § 12a BGG. Die Vorgaben, die sie hierfür erfüllen müssen, sind in der Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung - BITV 2.0 festgelegt. Auch in vielen Landesgleichstellungsgesetzen finden sich ähnliche Vorschriften, die die öffentlichen Stellen der Länder zur Einhaltung der BITV 2.0 des Bundes oder entsprechenden landeseigenen Verordnungen verpflichten.
Für Teile des privaten Bereichs werden sich Vorgaben künftig aus dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz ergeben, das am 28. Juni 2025 in Kraft tritt (siehe oben). Es ist eine gute Idee, die eigene Webseite auf Barrierefreiheit hin zu überprüfen. Dafür gibt es viele Online-Angebote, wie etwa von der Bundesfachstelle Barrierefreiheit (siehe unten).
Barrierefreiheit im Gesundheitswesen
Viele Einrichtungen des Gesundheitswesens, wie Arztpraxen, oder die Räumlichkeiten von Heil- und Hilfsmittelerbringern sind noch nicht barrierefrei.
Hinweis: Heilmittelerbringer sind etwa Physio- und Ergotherapeuten oder Logopäden. Lesen Sie gerne mehr in unserem Beitrag "Heilmittel beantragen". Hilfsmittelerbringer sind beispielsweise Sanitätshäuser. Lesen Sie gerne mehr in unserem Beitrag "Hilfsmittel beantragen".
Nach Auskunft der Kassenärztlichen Bundesvereinigung sind bislang beispielsweise nur ca. 26 Prozent der Haus- und Facharztpraxen barrierefrei (siehe BT-Drs. 19/23214 S. 4). Wobei die Bewertung auf einer Selbsteinschätzung der Ärzt*innen basiert und Barrierefreiheitskriterien für Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung nicht berücksichtigt wurden. Hier muss dringend nachgebessert werden.
Zwingende Verpflichtungen zur Verbesserung der Barrierefreiheit gibt es aber nur teilweise. So sind Apotheken verpflichtet, ihre Geschäftsräume barrierefrei zu gestalten (§ 4 Absatz 2a Apothekenbetriebsordnung).
Außerdem müssen Einrichtungen des Gesundheitswesens nach den Vorgaben der Musterbauordnung barrierefrei gestaltet werden (§ 50 Absatz 2). Allerdings können hiervon Ausnahmen gemacht werden, wenn die Herstellung der Barrierefreiheit einen “unverhältnismäßigen Mehraufwand” darstellt. Außerdem führen die Regelungen nicht dazu, dass bereits bestehende Gebäude, die nicht barrierefrei sind, umgebaut werden müssen.
Bei der Zulassung von Ärzt*innen sowie Heil- und Hilfsmittelerbringern zur gesundheitlichen Versorgung spielt Barrierefreiheit eher eine untergeordnete Rolle. So ist die Barrierefreiheit von Arztpraxen an verschiedenen Stellen der Bedarfsplanung, die bei der Zulassungsentscheidung zu beachten ist, verankert. Außerdem ist die Zugänglichkeit der Artpraxis für Menschen mit sogenannter Behinderung bei der Zulassung in Gebieten, die bereits überversorgt sind, zu berücksichtigen (vgl. § 103 Absatz 4 Nummer 8 SGB V). Fehlende Barrierefreiheit ist aber kein Ausschlusskriterium.
Für Heilmittelerbringer ist lediglich vorgesehen, dass in den Verträgen, denen sie zwecks Zulassung beitreten müssen, Empfehlung zur Ausgestaltung einer barrierefreien Praxis vorhanden sein sollen (vgl. § 125 Absatz 4 SGB V).
Hilfsmittelerbringer dürfen nur zugelassen werden, wenn sie eine ausreichende, zweckmäßige und funktionsgerechte Herstellung, Abgabe und Anpassung der Hilfsmittel gewähren können (§ 126 Absatz 1 Satz 2 SGB V). Bei der Prüfung, ob dies der Fall ist, spielen teilweise auch Kriterien der Zugänglichkeit für Menschen mit sogenannter Behinderung eine Rolle.
Information über barrierefreie Arztpraxen
Seit Mai 2019 ist die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) dazu verpflichtet, über die Barrierefreiheit von Arztpraxen zu informieren (§ 75 Absatz 1a SGB V). Hierfür wird die KBV in ihrer Mitgliedschaft einen umfassenden Katalog von Barrierefreiheitskriterien abfragen und die Ergebnisse veröffentlichen. Der Kriterienkatalog ist in einer Richtlinie der KBV niedergelegt und umfasst seit dem 15. Juli 2024 erstmals auch Kriterien für Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung.
Hinweis: Vergleichbare Vorgaben für die Information über barrierefreie Heil- oder Hilfsmittelerbringer gibt es bislang nicht.
Damit das Gesundheitswesen barrierefreier wird, hat sich die Bundesregierung im Koalitionsvertrag 2021–2025 verpflichtet, einen Aktionsplan für ein barrierefreies, inklusives und diverses Gesundheitswesen zu erarbeiten. Im Herbst 2023 fand die Auftaktveranstaltung statt. Im Anschluss konnte die Zivilgesellschaft ihre Vorschläge im Rahmen eines schriftlichen Stellungnahme-Verfahrens einbringen. Mehr als 100 Personen, Verbände und Organisationen – darunter auch die Bundesvereinigung Lebenshilfe – reichten rund 3000 Vorschläge ein. Diese wurden vom Bundesministerium für Gesundheit zu 1300 Fokusmaßnahmen zusammengefasst und in sieben Fachgesprächen diskutiert.
Die Bundesvereinigung Lebenshilfe hat sich mit einer umfassenden Stellungnahme an dem Verfahren beteiligt und auch in diversen Fachgesprächen ihre Position vertreten.
Forschung zur Barrierefreiheit für Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung
Im Jahr 2006 hat sich der Rat behinderter Menschen der Bundesvereinigung Lebenshilfe zum ersten Mal mit dem Thema „Barrierefreiheit“ auseinandergesetzt. Immer wieder hat er sich seitdem mit dem Thema beschäftigt und festgestellt:
Rat behinderter MenschenEs gibt nur wenig Wissen zum Thema Barrierefreiheit. Aber nur wenn man weiß, worin Hindernisse bestehen, dann kann man sie auch abbauen!
Bundesvereinigung Lebenshilfe
Der Rat hat daraufhin an das Bundesministerium für Arbeit und Soziales geschrieben und ein Forschungsprojekt zu kognitiver Beeinträchtigung und Barrierefreiheit wurde durchgeführt. Die Ergebnisse wurden im Jahr 2018 veröffentlicht und sind online verfügbar.
Politische Initiative für mehr Barrierefreiheit
Im November 2022 wurde die sogenannte "Bundesinitiative Barrierefreiheit" unter Federführung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales ins Leben gerufen. Sie soll dazu beitragen, Deutschland barrierefreier zu machen.
Der Schwerpunkt wird dabei auf mehr Barrierefreiheit in diesen Themenbereichen gelegt:
- Mobilität
- Wohnen
- Gesundheit
- Digitales
Die Initiative ist auf zehn Jahre angelegt und soll von einem Beirat begleitet werden, der im April 2023 seine Arbeit aufgenommen hat. In diesem Gremium sind sowohl Menschen mit sogenannter Behinderung als auch die Länder und Kommunen sowie die Wirtschaft vertreten.
Die Bundesvereinigung Lebenshilfe wird ihre Mitgliedschaft im Beirat dafür nutzen, sich für nachhaltige und konkrete Maßnahmen für mehr Barrierefreiheit einzusetzen.
Weitere Informationen zum Thema Barrierefreiheit
- Erklärung zur Barrierefreiheit Wie stellt die Bundesvereinigung Lebenshilfe sicher, dass ihre Angebote barrierefrei sind? In dieser Erklärung zur Barrierefreiheit für unsere Webseite und unsere Geschäftsstellen geben wir die Antwort darauf.
- Bundesfachstelle Barrierefreiheit Die Bundesfachstelle Barrierefreiheit ist in Deutschland eine zentrale Stelle, die das bestehende Wissen zur Barrierefreiheit systematisch sammelt, aufbereitet und der Öffentlichkeit zur Verfügung stellt.
- Aktion Mensch zur Barrierefreiheit Die Aktion Mensch informiert zur Barrierefreiheit sowie zu verschiedenen Fördermöglichkeiten, Kampagnen und Projekten.
- MobiLe – Mobilität lernen Ein Angebot des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr.
- Rechtssammlung zur Barrierefreiheit Viele Gesetze und Verordnungen auf Bundesebene enthalten Anforderungen zur Barrierefreiheit. Ab sofort finden alle Interessierten eine umfassende Rechtssammlung zur Barrierefreiheit auf der Website der Bundesfachstelle Barrierefreiheit.
- "Das Internet ist für Alle da!" Im abgeschlossenen Projekt "Das Internet ist für Alle da!" der Bundesvereinigung Lebenshilfe geht es um die digitale Teilhabe von Menschen mit sogenannter Behinderung. Weitere Informationen zu den Inhalten und zum Ablauf gibt es auf der Projektseite.