Familienwohnen – Ein Konzept, um Eltern mit Beeinträchtigung ambulant zu unterstützen
Seit Mai 2014 unterstützt die Lebenshilfe Braunschweig eine Familie mit ihrem zu diesem Zeitpunkt einjährigem Sohn in eigener Wohnung. Das Besondere an dem Projekt ist, dass die Lebenshilfe Braunschweig innerhalb der Familie Leistungen der Eingliederungshilfe und auch die Familienhilfe leistet.
Projekt
Seit Mai 2014 unterstützt die Lebenshilfe Braunschweig eine Familie mit ihrem zu diesem Zeitpunkt einjährigem Sohn in eigener Wohnung.
Das Besondere an dem Projekt ist, dass die Lebenshilfe Braunschweig innerhalb der Familie Leistungen der Eingliederungshilfe und auch die Familienhilfe leistet. Die Familie musste hierfür nicht aus ihrem gewohnten Lebensumfeld in ein Neues umziehen, sondern wird in eigener Wohnung unterstützt. Das Stadtgebiet ist der Familie bekannt. Das Angebot ist personenzentriert, was für uns bedeutet, dass wir den Unterstützungsbedarf der Familie dynamisch sehen und unsere Erbringung an Unterstützungsleistungen dem Bedarf anpassen. Es wurde eine Wohnung in unmittelbarer Nähe zu einem unserer Stadtteilbüros hierfür angemietet.Gemeinsam mit dem Braunschweiger Jugendamt und dem Sozialamt wurde ein ambulantes Betreuungskonzept für die Familie erdacht und installiert. Die Familie wurde in der Anfangszeit täglich in Form eines Frühdienstes sowie eines Spätdienstes unterstützt. Daneben wurde zur Gewährleistung des Kindeswohles in unserem Stadtteilbüro eine Nachtbereitschaft eingerichtet. Die Mitarbeitenden waren nachts über ein Babyphone mit dem Kinderzimmer verbunden.Die Nachtbereitschaft wurde nach sechs Monaten von der Familie nicht mehr benötigt, so dass sie in eine Rufbereitschaft umgewandelt werden konnte.
Organisation
Die Lebenshilfe Braunschweig setzt sich engagiert dafür ein, Menschen mit Beeinträchtigung positive Lebensbedingungen zu schaffen, sie zu begleiten, zu fördern und ihre Eingliederung in die Gesellschaft zu verwirklichen. Dabei soll jeder Mensch so selbstständig wie möglich leben, zugleich aber so viel Unterstützung wie nötig erhalten. Dies ermöglicht die Lebenshilfe Braunschweig mit einer Vielzahl von Angeboten für alle Altersgruppen. Dazu gehören Beratungsstelle, Kinder- und Familienzentrum, Frühe Hilfen ebenso wie Werk- und Wohnstätten, Seniorentagesstätten, Ambulante Dienste, Reisebüro sowie Kultur-, Sport- und Freizeitangebote. Hinzu kommt ein weit reichendes Netzwerk mit Institutionen und Verbänden, Verwaltung und Politik. Der 1960 gegründete Verein ist Gesellschafter einer gemeinnützigen GmbH, die mehr als 1000 Menschen mit Beeinträchtigungen Dienstleistungen bietet – und das insgesamt 66 eigenen und angemieteten Standorten. Als mittelständisches Unternehmen mit mehr als 600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie ehrenamtlichen Kräften ist die Lebenshilfe größter Anbieter von Hilfen für Menschen mit Beeinträchtigungen in Braunschweig.
Seit mehreren Jahren werden von unserer Einrichtung Eltern mit geistiger Beeinträchtigung ambulant unterstützt. Häufig wurde neben der Eingliederungs-hilfe auch Familienhilfe durch Träger der Jugendhilfe in den Familien erbracht. Hierbei wurde offenbar, dass Mitarbeitende der Jugendhilfeträger häufig nicht adäquat mit dem Personenkreis der Eingliederungshilfe arbeiten konnten.
Die Idee ist konkret entstanden, da der Sohn aus einer Familie aufgrund einer Vermutung der Kindeswohlgefährdung aus der Familie genommen wurde. Er wurde in einer Einrichtung der Jugendhilfe in Braunschweig untergebracht. Die Eltern haben sich äußerst engagiert um Kontakt zu ihm bemüht. Besuche fanden täglich statt. Die Bedarfe der Familie ergaben sich aus der Einschätzung des Braunschweiger Jugendamtes. Darüber hinaus werden die Eltern seit vielen Jahren ambulant unterstützt und sind uns daher bekannt.
Eltern mit Beeinträchtigungen, die soweit wie möglich selbstbestimmt die Erziehung ihrer Kinder ausführen möchten. Die Umsetzung der UN-Konventionen zu den Rechten von Menschen mit Behinderungen, Artikel 23 „Achtung der Wohnung und der Familie“. Wir wollen erreichen, dass Eltern mit Beeinträchtigungen nicht in Einrichtungen außerhalb des gewohnten Umfeldes ziehen müssen, um ihre Kinder bei sich behalten zu können. Um die Selbstbestimmung der Eltern und deren Verantwortung für ihre Kinder in Einklang zu bringen und für die Familie lebbar zu machen, unterstützen wir die Eltern im Prozess der Erziehung mit dem Ziel, die elterlichen und erzieherischen Kompetenzen zu erweitern. Dabei ist die Übernahme elterlicher Aufgaben durch Mitarbeiterinnen möglich. „Hilfe zur Selbsthilfe“ ist nicht das vordergründige Ziel.
Entscheidend ist eine gute Abstimmung zwischen Jugendhilfeträger und Träger der Eingliederungshilfe.
1.Schritt: Kontaktaufnahme zum Braunschweiger Jugendamt (Wir haben die Voraussetzungen einer Rückkehr des Sohnes in die Familie abgeklärt und ein dementsprechendes Betreuungskonzept erstellt);
2. Schritt: Anmietung von zwei Wohnungen in direkter Nachbarschaft zu unserem Stadtteilbüro (Die Anmietung durch die Lebenshilfe Braunschweig ist im Rahmen der ambulanten Betreuung zwar ungewöhnlich, ist aber Voraussetzung, damit wir auch auf weitere Anfragen reagieren können);
3. Schritt: Im Rahmen einer Fallbesprechung im Braunschweiger Jugendamt wurde dem Konzept zugestimmt;
4. Schritt: Umsetzung des Konzeptes - Einrichtung eines Früh- und Spätdienstes für die Morgen- bzw. Abendstunden an sieben Tagen die Woche. Zusätzlich wurde für die ersten sechs Monate eine Nachtbereitschaft installiert, die für weitere sechs Monate in eine Rufbereitschaft umgewandelt wurde. Mittlerweile benötigt die Familie auch keine Rufbereitschaft mehr.
Die erste Herausforderung bestand darin, die verantworlichen Mitarbeitenden des Jugendamtes von unserer Konzeption zu überzeugen. Die Konzeption war zunächst mit sehr hohen Kosten für beide Leistungsträger verbunden. Der Grund hierfür war, dass es sich um eine exklusive Unterstützungsform für diese eine Familie handelt. So wurde zum Beispiel eigens hierfür eine Nachtbereitschaft eingeführt. Als nächstes stellt sich die Frage nach Wohnraum. Da wir bei Bedarf Unterstützung in Form einer Nachtbereitschaft vorhalten müssen, werden Wohnungen benötigt, die gut an Büros der ambulanten Unterstützung angebunden sind. Wir haben daher die Entscheidung getroffen, dass wir zwei Wohnungen im Nachbarhaus des Hauses, in dem sich unser Büro befindet, als Lebenshilfe anmieten. Die Wohnungen werden an Kunden der ambulanten Unterstützung untervermietet. Weiterhin werden Mitarbeitende benötigt, die ein solches Projekt unterstützen möchten.
Die Finanzierung des Angebotes besteht aus Leistungen des SGB XII und des SGB VIII.
Nachdem die Familie mittlerweile 1,5 Jahre von unserer Einrichtung ambulant unterstützt wird, ist die Sicht der Leistungsträger auf das Angebot sehr positiv. Die Kosten des Angebotes haben sich in dieser Zeit um mehr als 50 % reduziert, da die Nachtbereitschaft zunächst durch eine Rufbereitschaft ersetzt wurde. Mittlerweile benötigt die Familie auch diese nicht mehr. Es war sehr gut, dass beide Leistungsträger bereit waren, dass Projekt mit umzusetzen. So konnten zum Beispiel die Hilfeplangespräche gemeinsam geführt werden, was die Abgrenzung der Hilfen nach SGB VIII und SGB XII erheblich vereinfachte. Aktuell befinden wir uns in Gesprächen mit dem Jugendamt über eine Konzeption der Familienbetreuung einer anderen Familie. Insofern besteht in naher Zukunft die Möglichkeit der Erweiterung des Angebotes.