Behindertentestament: Erben mit Beeinträchtigung
Was passiert mit meinem Kind, wenn ich nicht mehr da bin? Kann ich ihm überhaupt etwas vererben? Das sind Fragen, die viele Eltern von Menschen mit Behinderung beschäftigen.
Was ist ein Behindertentestament?
Das Behindertentestament ist ein besonderes Testament. Mindestens ein Erbe hat eine Behinderung. Durch ein Behindertentestament können Angehörige mit Behinderung nach dem Ableben ihrer Eltern über dem Sozialhilfeniveau versorgt werden. Das Familienvermögen bleibt andererseits erhalten und fällt nicht an den Sozial- bzw. Eingliederungshilfeträger. Das gilt auch, wenn ein größeres Vermögen vererbt werden soll.
Sinn und Zweck des Behindertentestaments ist es also, dem Kind zwar Vermögen zukommen zu lassen, gleichzeitig aber den Zugriff des Sozial- bzw. Eingliederungshilfeträgers auf das Geerbte zu verhindern.
Hintergrund: Warum braucht man ein Behindertentestament?
- Menschen mit Behinderung bekommen oft Leistungen der Eingliederungshilfe oder Sozialleistungen wie z.B. Grundsicherung. Diese Leistungen sind in der Regel einkommens- und vermögensabhängig.
- Das bedeutet, dass der Sozial- bzw. Eingliederungshilfeträger keine Leistungen gewährt, sofern der Leistungsempfänger über eigenes Einkommen und Vermögen verfügt.
- Wenn Menschen mit Behinderung erben, erhalten sie in der Regel Vermögen. Daher müssen sie Leistungen der Eingliederungshilfe bzw. Sozialleistungen zunächst aus dem Erbe bezahlen. Das Erbe kommt dann also nicht ihnen, sondern dem Sozial- bzw. Eingliederungshilfeträger zugute. Doch das können Eltern verhindern – und zwar mit dem sogenannten Behindertentestament.
Worauf muss ich beim Behindertentestament achten?
Wenn Eltern ein Behindertentestament aufsetzen, ist es wichtig, dass sowohl für den Tod des ersten als auch für den des zweiten Elternteils Regelungen zugunsten des behinderten Kindes getroffen werden.
Das Kind darf auf keinen Fall enterbt oder mit einer Erbquote bedacht werden, die unter der Hälfte seines gesetzlichen Erbteils liegt. Denn andernfalls können Pflichtteilsansprüche entstehen. Hierdurch würde das Kind Vermögen erlangen, welches zur Bestreitung seines Lebensunterhalts zu verwenden ist, ohne dass sich gleichzeitig die Lebensqualität des Kindes erhöhen würde. Das Erbe würde also dem Sozial- bzw. Eingliederungshilfeträger zugutekommen.
Vor- und Nacherbe
Ziel einer testamentarischen Gestaltung ist es deshalb, dem Kind Vermögen zukommen zu lassen. Gleichzeitig soll aber sichergestellt werden, dass das Vermögen nicht verbraucht werden darf. Dem Kind sollen nur die Erträge aus dem ererbten Vermögen zustehen. Dies kann dadurch erreicht werden, dass das Kind sowohl für den ersten als auch für den zweiten Erbfall als Vorerb*in eingesetzt wird.
Die Vorerb*in wird dadurch für einen begrenzten Zeitraum Erb*in der Erblasser*in. Mit dem Eintritt des Nacherbfalles fällt das Erbe an die Nacherben. Nacherben können zum Beispiel die nicht behinderten Kinder oder auch die Lebenshilfe-Stiftung Tom-Mutters sein.
Testamentsvollstreckung
Außerdem muss festgelegt werden, was mit den Erträgen aus der Erbschaft (z.B. Zinserlösen) passieren soll. Eltern können zum Beispiel anordnen, dass sie ausschließlich für Gesundheitsausgaben, einen jährlichen Urlaub oder ein Hobby ihres Kindes verwendet werden dürfen.
Um sicherzustellen, dass diese Anordnungen auch tatsächlich eingehalten werden und das Kind keine eigenen Verfügungsmöglichkeiten über den Nachlass hat, muss der Erbteil des Kindes unter eine lebenslange Testamentsvollstreckung gestellt werden. Die Testamentsvollstrecker*in ist an die Vorgaben im Testament gebunden. Sie* verwaltet das Erbe des Kindes und hat die Aufgabe, aus dem Nachlass Zuwendungen an das Kind zu leisten, die es im täglichen Leben braucht (z.B. Kleidung, Reisen, persönliche Dinge).
Für die Person der Testamentsvollstrecker*in eignet sich eine Vertrauensperson des behinderten Menschen oder eine Institution aus seinem direkten Umfeld.
Wie sieht ein Behindertentestaments aus?
Sie finden hier lediglich die Grundstruktur eines Behindertentestaments. Auf Musterformulierungen haben wir bewusst verzichtet. Denn die beste Lösung muss sich an Ihrer individuellen Situation und Ihren Wünschen orientieren. Deshalb empfehlen wir Ihnen unbedingt eine rechtliche Beratung. Die bekommen Sie bei einem auf Erbrecht spezialisierten Anwalt. Die Adressen vermittelt Ihre örtliche Anwalts- und Notarkammer.
Die Grundstruktur eines Behindertentestaments
- Ihr*e Angehörige* mit Behinderung wird zur Vorerb*in eingesetzt, und zwar oberhalb ihrer Pflichtteilsquote.
- Sie berufen einen oder mehrere Nacherb*innen für die Zeit nach dem Tod der Vorerb*in.
- Sie ordnen zu Gunsten Ihrer Angehörigen* mit Behinderung eine Dauertestamentsvollstreckung auf Lebenszeit an.
- Die Testamentsvollstrecker*in erhält in Ihrer letztwilligen Verfügung konkrete Anweisungen, wie die Erträge aus dem Nachlass zur Verbesserung der Lebensqualität des Menschen mit Behinderung zu verwenden sind.
- Die Zuwendungen sollen nicht der Entlastung des Sozial- bzw. Eingliederungshilfeträgers dienen.
- Sollte die Angehörige* mit Behinderung rechtlich betreut werden, ist es ratsam, im Testament auch anzuordnen, dass die durch eine rechtliche Betreuung entstehenden Kosten für das Gericht und die rechtliche Betreuer*in nicht aus dem Vorerbe bestritten werden sollen.
Weitere Informationen
- Broschüre: Das Behindertentestament In Kooperation mit der Bundesvereinigung Lebenshilfe hat der C. H. Beck Verlag diese Broschüre für Angehörige und Menschen mit Behinderung herausgegeben.
- Ratgeber: Vererben zugunsten von Menschen mit Behinderung Ein Angebot des BVKM.
- Familienratgeber zum Behindertentestament Ein Angebot der Aktion Mensch.
Mit dem Nachlass Gutes tun
Sie überlegen, mit Ihrem Testament etwas Gutes zu tun? Auf unserer Seite zum Thema Vererben haben wir weitere Informationen für Sie zusammengestellt.
Wichtige Urteile zum Behindertentestament
- Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 24. Juli 2019 (Az: XII ZB 560/18) Begründung
- Urteil des Oberlandesgerichts Hamm vom 27. Oktober 2016 (Az: I-10 U 13/16, 10 U 13/16) Urteilsbegründung
- Urteil des Landessozialgerichts Hessen vom 26. Juni 2013 (Az. L 6 SO 165/10) Urteilsbegründung
- Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 27. März 2013 (Az. XII ZB 679/11) Begründung
- Urteil des Bundesgerichtshofs vom 19. Januar 2011 (Az. IV ZR 7/10) Urteilsbegründung
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Die Themen der Bücher aus dem Verlag der Lebenshilfe umfassen alle Lebensbereiche geistig beeinträchtigter Menschen und ihrer Familien. Sie reichen vom Bilderbuch über Handreichungen zur Pflegeversicherung oder schulischen Integration bis hin zur Intimität von Menschen mit geistiger Beeinträchtigung.