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Vereinsleben für Menschen mit Beeinträchtigung
Menschen mit Beeinträchtigung können sich aktiv am Vereinsleben beteiligen. Wir erklären, was es beim Vereinsleben der Lebenshilfe zu beachten gibt.
Die Lebenshilfe steht für Inklusion
- Im Prinzip kann jeder Mitglied im Lebenshilfeverein werden und das Vereinsleben aktiv mitgestalten!
- Auch Menschen mit geistiger Beeinträchtigung gehören hierzu.
Dafür stehen wir: Die Lebenshilfe steht für Inklusion und fordert diese immer wieder gegenüber der Politik und gesellschaftlichen Akteuren ein. Daher muss gerade die Lebenshilfe als Selbstvertreter*innen-Verein ein Beispiel setzen. Wir wissen: Die Mitgliedschaft und Mitarbeit von Menschen mit geistiger Beeinträchtigung in den Lebenshilfe-Vereinigungen ist möglich; sei es durch ihre Geschäftsfähigkeit, sei es durch die Unterstützung ihrer rechtlichen Betreuer*in.
Das unterstützen wir: Menschen mit geistiger Beeinträchtigung können in allen Bereichen mitwirken. Auch auf der Ebene des Vorstands. Eine Forderung der „Leipziger Erklärung“ lautet: „Wir brauchen noch mehr Selbstvertreter bei der Lebenshilfe! […] Wir fordern einen Platz in jedem Vorstand der Lebenshilfe! So können wir besser mitbestimmen.“ Alle, die zur Lebenshilfe gehören, arbeiten partnerschaftlich zusammen. Dort, wo dies bereits gelebte Praxis ist, zeigt sich, dass die Perspektive der Selbstvertreter*innen die Glaubwürdigkeit der Lebenshilfe erhöht und unersetzlich für die Arbeit und Weiterentwicklung der Vereine ist.
1. Die Mitgliedschaft im Verein der Lebenshilfe
Die Begründung der Mitgliedschaft in einem Verein ist ein Rechtsgeschäft bzw. ein Vertrag. Unter welchen Voraussetzungen ein solcher Vertrag wirksam ist, richtet sich nach den Regeln des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Um einem Verein beitreten zu können, bedarf es unter anderem:
- der Beitrittserklärung durch die jeweilige Person und
- der Aufnahme durch den Verein.
Damit die Beitrittserklärung wirksam ist, muss die beitrittswillige Person geschäftsfähig sein. Das bedeutet, sie muss in der Lage sein, wirksam Rechtsgeschäfte vorzunehmen.
Wer kann alles Vereinsmitglied werden?
Jeder erwachsene Mensch – ob mit oder ohne Behinderung – kann durch eine persönliche Erklärung die Mitgliedschaft in einem Verein erwerben.
Das BGB sagt, dass mit dem 18. Geburtstag und somit dem Eintritt der Volljährigkeit alle Menschen geschäftsfähig sind (vgl. §§ 2, 106 ff. BGB). Dabei gibt es keine Unterschiede zwischen behinderten und nichtbehinderten Menschen. Ein volljähriger Mensch mit Behinderung ist also genauso geschäftsfähig wie ein Mensch ohne Behinderung. Eine geistige Beeinträchtigung eines volljährigen Menschen rechtfertigt nicht den Rückschluss auf dessen Geschäftsunfähigkeit.
Eine rechtliche Betreuung hat keinen Einfluss auf die Geschäftsfähigkeit eines erwachsenen Menschen. Rechtlich betreute Menschen können ihren Vereinsbeitritt wirksam selbst erklären.
Eine rechtliche Betreuung kann für bestimmte Aufgabenkreise angeordnet werden. Relevant für den Vereinsbeitritt können folgende Aufgabekreise sein:
- Vermögenssorge, da mit dem Vereinsbeitritt ein Mitgliedsbeitrag erhoben werden kann
- Personensorge, da es sich bei der Mitgliedschaft und der Ausübung der Mitgliedsrechte um ein Personenrecht und individuelles Grundrecht handelt
- alle Angelegenheiten
- ggf. Wahrnehmung der vereinsrechtlichen Mitgliedsrechte und -pflichten
- ggf. Ausübung des Vorstandsamts
Ist für die erwachsene Person eine rechtliche Betreuung demnach mit den Aufgabekreisen Gesundheitssorge, Wohnungsangelegenheiten oder Aufenthaltsbestimmung bestellt, ist die Erklärung des Vereinsbeitritts durch die rechtliche betreute Person unproblematisch. Denn die rechtliche Betreuer*in ist in diesen Fällen nicht zuständig für Entscheidungen, die die von ihr betreute Person bezüglich des Vereinsbeitritts trifft.
Wurde eine rechtliche Betreuung mit den oben genannten Aufgabenkreisen (Vermögenssorge, Personensorge, alle Angelegenheiten, vereinsrechtliche Mitgliedsrechte oder Ausübung des Vorstandsamts) eingerichtet, kann die rechtlich betreute Person ebenfalls den Vereinsbeitritt selbst erklären. Denn eine rechtliche Betreuung führt nicht zur Geschäftsunfähigkeit des rechtlich betreuten Menschen. Auch nicht in den Aufgabenbereichen, in denen eine rechtliche Betreuung bestellt ist.
Besteht eine rechtliche Betreuung mit Einwilligungsvorbehalt bezüglich des sich aus einem Vereinsbeitritt ergebenden Rechtsverhältnisses, bedarf die Beitrittserklärung der Einwilligung der rechtlichen Betreuer*in.
Das BGB geht von der Grundannahme aus, dass jeder Mensch geschäftsfähig ist und damit selbstständig einen Vertrag abschließen kann. Nur ausnahmsweise ist ein Mensch als beschränkt geschäftsfähig oder geschäftsunfähig anzusehen. Diese Ausnahmen sind im BGB geregelt.
Das BGB regelt, dass Minderjährige, die das 7. Lebensjahr vollendet haben, aber noch nicht volljährig sind, beschränkt geschäftsfähig sind. Minderjährige können ohne weiteres selbst einen Aufnahmeantrag stellen. Die gesetzlichen Vertreter*innen, d. h. die Eltern, ggf. der Vormund, müssen dazu in den Abschluss des Mitgliedsvertrags einwilligen.
Wichtig ist zu wissen, dass trotz der Einwilligung der Eltern nicht die Eltern, sondern der oder die Minderjährige bzw. Jugendliche Mitglied des Vereins wird.
Nach dem Gesetz sind zum einen Kinder, die noch nicht das 7. Lebensjahr vollendet haben, geschäftsunfähig.
Zum anderen können unter bestimmten Voraussetzungen manchmal auch erwachsene Menschen geschäftsunfähig sein. Das BGB sagt hierzu in § 104 Nr. 2 BGB, dass unabhängig vom Alter ein Mensch geschäftsunfähig sein kann, wenn er sich in einem dauernden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet, der die freie Willensbestimmung ausschließt. Diese sprachlich veraltete und diskriminierende Formulierung, deren Änderung die Lebenshilfe schon seit langem fordert, setzt voraus, dass sich die Störung dauerhaft auf die Willensbildung und die Fähigkeit auswirkt, nach den gewonnenen Einsichten zu handeln. Dies ist anzunehmen, wenn jemand aufgrund seiner geistigen Beeinträchtigung auf Dauer die Bedeutung, Folgen und Tragweite von auch einfachen Verträgen (z.B. Kauf eines Brots) auch dann, wenn sie ihm einfach erklärt werden, nicht nachvollziehen kann. Ob eine derartige Geschäftsunfähigkeit vorliegt, hat derjenige zu beweisen, der sich auf sie beruft.
In Lebenshilfe Vereinen, die eine aktive Mitwirkung von Menschen mit geistiger Behinderung im Vereinsleben anstreben und fördern, ist vom Grundsatz der Geschäftsfähigkeit des erwachsenen Menschen mit Behinderung auszugehen. Eine echte Beteiligung kann nur funktionieren, wenn man diese fördert und unterstützt. Nicht jedoch, indem von vornherein formaljuristische Zweifel in den Vordergrund gerückt werden.
Aber auch dann, wenn ein Mensch geschäftsunfähig ist, kann er Mitglied im Verein werden. Hierfür sieht das Gesetz das Institut der Vertretung vor. Bei Kindern sind die Eltern, ggf. der Vormund, die gesetzlichen Vertreter*innen. Bei erwachsenen Menschen die rechtliche Betreuer*in mit einem entsprechenden Aufgabekreis. Sofern die Satzung nichts Gegenteiliges regelt, kann auch eine vorsorgebevollmächtigte Person den Vereinsbeitritt erklären.
Die Vertreter*in gibt die Beitrittserklärung stellvertretend für und im Interesse der vertretenen Person ab. Hierbei ist sie an die Wünsche, den Willen und die Vorstellungen der vertretenen Person gebunden und muss diese ermitteln und zur Geltung bringen.
Wichtig zu wissen ist, dass auch wenn Eltern, rechtliche Betreuer*innen oder Vorsorgebevollmächtigte die Beitrittserklärung stellvertretend für die geschäftsunfähige Person abgeben, die vertretene Person Mitglied im Verein wird.
2. Ausübung der Mitgliedsrechte
Die Mitglieder sollen „aktiv“ am Leben des Vereins teilnehmen und dadurch die Geschicke des Vereins mitbestimmen. Sie sind der Motor des Vereins und die Mitgliederversammlung sein oberstes Organ. Daher haben die Mitglieder Rechte. Hierzu gehören in der Regel:
- die Einladung und Teilnahme an der Mitgliederversammlung
- das Rede-, Auskunfts- und Antragsrecht in der Mitgliederversammlung
- das Stimmrecht in der Mitgliederversammlung
- das aktive und passive Wahlrecht.
Die Mitgliedschaft ist grundsätzlich ein Personenrecht. Das bedeutet, dass die Mitgliedsrechte nur persönlich ausgeübt werden können.
I. Einladung und Teilnahme an der Mitgliederversammlung
Zur Mitgliederversammlung sind alle Mitglieder des Vereins unter Beachtung der satzungsmäßigen Form einzuladen. Dies gilt unabhängig davon, ob die Mitglieder geschäftsfähig, beschränkt geschäftsfähig oder geschäftsunfähig sind oder rechtlich betreut werden. Das Einladungserfordernis gilt unabhängig vom Stimmrecht, sodass auch nicht stimmberechtigte Mitglieder ordnungsgemäß zur Mitgliederversammlung einzuladen sind.
Teilnahme bedeutet die körperliche Anwesenheit vom Beginn bis zum Ende der Mitgliederversammlung. Auch dieses Recht steht allen Mitgliedern zu, sodass alle Mitglieder berechtigt sind, an der Mitgliederversammlung teilzunehmen.
II. Rechte in der Mitgliederversammlung
Ebenso haben die Mitglieder das Recht, sich in der Mitgliederversammlung zur Sache zu Wort zu melden und Anträge zu stellen.
Das Rederecht ist das Recht, sich zu den zur Beschlussfassung anstehenden Anträgen oder Tagesordnungspunkten auszusprechen oder zu erklären. Die Ausübung des Rederechts stellt keine rechtsgeschäftliche Willenserklärung dar. Folglich steht das Rederecht allen Mitgliedern zu. Unabhängig davon, ob sie geschäftsfähig, beschränkt geschäftsfähig oder geschäftsunfähig sind oder rechtlich betreut werden. Ebenso wenig bedarf es zur Ausübung des Rederechts der Einwilligung oder Mitwirkung der gesetzlichen Vertreter*in.
Will das Mitglied einen Antrag in der Mitgliederversammlung stellen, ist das eine rechtsgeschäftliche Willenserklärung. Diese setzt Geschäftsfähigkeit voraus. Beschränkt geschäftsfähige Personen können mit entsprechender Zustimmung durch die gesetzliche Vertreter*in einen Antrag stellen. Geschäftsunfähige Personen durch die gesetzliche Vertreter*in: Sie gibt unter Beachtung des Willens, der Wünsche und der Vorstellungen stellvertretend für das vertretene Mitglied die Erklärung ab, einen Antrag stellen zu wollen.
III. Stimmrechte und aktives Wahlrecht in der Mitgliederversammlung
Damit in der Mitgliederversammlung Beschlüsse gefasst werden, stimmen die Mitglieder ab. Hierfür werden ihnen Stimmrechte eingeräumt. Grundsätzlich ist jedes Mitglied in der Mitgliederversammlung stimmberechtigt. Es sei denn, die Satzung sieht abweichende Regelungen vor (indem sie z.B. nur volljährigen Personen ein Stimmrecht einräumt).
Die Stimmabgabe in der Mitgliederversammlung (sei es zur Beschlussfassung oder bei einer Wahl) stellt ebenfalls eine rechtsgeschäftliche Willenserklärung dar. Zu dessen Wirksamkeit bedarf es der Geschäftsfähigkeit.
Ein volljähriger Mensch mit geistiger Beeinträchtigung kann sein Stimmrecht – wie jedes andere volljährige Mitglied auch – selbst ausüben. Seine Stimmabgabe ist wirksam. Etwas anderes gilt nur, wenn sie sich aufgrund nachgewiesener Geschäftsunfähigkeit zum Zeitpunkt der Stimmenabgabe als unwirksam erweist. Die Geschäftsunfähigkeit muss derjenige beweisen, der sich auf sie beruft.
Die rechtliche Betreuung hat keinen Einfluss auf die Geschäftsfähigkeit des rechtlich betreuten Menschen. Demnach können rechtlich betreute Menschen ihr Stimmrecht selbst ausüben.
Satzungsregelungen, wonach Mitglieder, die rechtlich betreut werden, kein Stimm- und aktives Wahlrechtrecht haben, sind aus verfassungsrechtlicher Sicht bedenklich. Gemäß § 1896 Abs. 1 BGB kann eine rechtliche Betreuung eingerichtet werden, wenn ein volljähriger Mensch aufgrund einer Behinderung seine rechtlichen Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen kann. Ein Stimmrechtsausschluss, der allein an die Stellung als rechtlich betreute Person knüpft, könnte somit dem Verbot der Benachteiligung wegen Behinderung gem. Art. 3 Abs. 3 S. 2 Grundgesetz (GG) widersprechen.
Eine rechtliche Betreuung kann für bestimmte Aufgabenkreise angeordnet werden. Aber nicht alle Aufgabekreise haben einen Bezug zur Wahrnehmung der Mitgliedsrechte in einem Verein.
Ist für die erwachsene Person eine rechtliche Betreuung z. B. mit den Aufgabekreisen Gesundheitssorge, Wohnungsangelegenheiten oder Aufenthaltsbestimmung bestellt, ist die Stimmabgabe durch die rechtliche betreute Person unproblematisch. Denn die rechtliche Betreuer*in ist in diesen Fällen nicht zuständig für Entscheidungen, die die von ihr betreute Person in der Mitgliederversammlung trifft. In diesem Fall wäre die Ausübung des Stimmrechts durch die rechtliche Betreuer*in sogar unzulässig, da es an einem entsprechenden Aufgabenkreis fehlt.
Wurde eine rechtliche Betreuung mit dem Aufgabenkreis Vermögenssorge, Personensorge, alle Angelegenheiten oder Ausübung der vereinsrechtlichen Mitgliedsrechte eingerichtet, kann die rechtlich betreute Person ebenfalls ihr Stimmrecht selbst ausüben. Denn eine rechtliche Betreuung führt nicht zur Geschäftsunfähigkeit des rechtlich betreuten Menschen. Auch nicht in den Aufgabenbereichen, in denen eine rechtliche Betreuung bestellt ist.
Besteht eine rechtliche Betreuung mit Einwilligungsvorbehalt bezüglich des sich aus einem Vereinsbeitritt ergebenden Rechtsverhältnisses, bedarf die Stimmabgabe der Einwilligung durch die rechtliche Betreuer*in. bzw. die Stimmabgabe kann durch die rechtliche Betreuer*in erfolgen.
Schließt die Satzung beschränkt Geschäftsfähige (d.h. Minderjährige und Jugendliche) nicht von der Ausübung des Stimmrechts aus, können sie ihr Stimmrecht selbst ausüben. Hierfür bedarf es der Zustimmung der gesetzlichen Vertreter*in, sprich der Eltern, ggf. des Vormunds. Die Rechtsprechung geht in diesem Zusammenhang davon aus, dass in der Einwilligung der gesetzlichen Vertreter*in zum Vereinsbeitritt Minderjähriger bzw. Jugendlicher in der Regel auch die im Voraus erklärte Einwilligung zur selbständigen Ausübung der Mitgliedsrechte liegt. Daher ist es z.B. nicht erforderlich, dass minderjährige Vereinsmitglieder vor jedem Besuch der Mitgliederversammlung erneut die Zustimmung ihrer gesetzlichen Vertreter*innen einholen müssen, um ihre Mitgliedsrechte durch Stimmabgabe auszuüben.
Da die Stimmabgabe eine rechtsgeschäftliche Erklärung ist, die Geschäftsfähigkeit voraussetzt, können geschäftsunfähige Personen selbst in der Mitgliederversammlung nicht abstimmen. In diesem Fall übt die gesetzliche Vertreter*in das Stimmrecht stellvertretend für und im Interesse der vertretenen Person aus. Da es sich um eine gesetzliche Vertretung handelt, sind Satzungsregelungen über Stimmvollmachten nicht anwendbar.
Bei Kindern, die das 7. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, sind die Eltern, ggf. der Vormund, die gesetzlichen Vertreter*innen. Bei erwachsenen Menschen kann eine rechtliche Betreuer*in mit entsprechendem Aufgabenkreis das Stimmrecht und damit die Mitgliedsrechte der geschäftsunfähigen Person ausüben. Die gesetzliche Vertreter*in ist hierbei an die Wünsche, den Willen und die Vorstellungen der vertretenen Person gebunden und muss diese ermitteln und zur Geltung bringen. Insofern hat die rechtliche Betreuer*in ein Recht zur Teilnahme an der Mitgliederversammlung.
Vorsorgebevollmächtigte sind nur dann zur Ausübung des Stimmrechts für das ggf. geschäftsunfähige Vereinsmitglied befugt, wenn die Satzung dies vorsieht. Bei der rechtlichen Betreuung handelt es sich um eine gesetzliche Vertretung. Die Vorsorgebevollmächtigung ist hingegen eine rechtsgeschäftliche Vertretung. Da die Mitgliedsrechte grundsätzlich nur persönlich ausgeübt werden dürfen, kann einer rechtsgeschäftlichen Vertreter*in die Ausübung des Mitgliedsrechts nur überlassen werden, wenn die Satzung dies zulässt.
Hat eine geschäftsunfähige Person in der Mitgliederversammlung abgestimmt, könnte dies zur Folge haben, dass deren Stimmabgabe unter Behauptung der Geschäftsunfähigkeit angefochten wird. Wird festgestellt, dass die Person zum Zeitpunkt der Stimmabgabe geschäftsunfähig war, gilt die Stimme als nichtig. Eine nichtige Stimmabgabe ist wie eine Stimmenenthaltung zu werten. Eine nichtige Stimmabgabe kann die Wirksamkeit eines Beschlusses der Mitgliederversammlung aber nur beeinflussen, wenn durch ihren Wegfall bei den Ja- oder Nein-Stimmen das Auszählungsergebnis verändert wird.
Ein Beispiel: In der Mitgliederversammlung stimmen 31 Mitglieder mit „Ja“ für den Kandidaten A als Vorstandsmitglied und 30 Mitglieder mit „Nein“. Im Nachhinein stellt sich heraus, dass eine der 31 Ja-Stimmen nicht gültig ist, weil ein Mitglied zum Zeitpunkt der Stimmabgabe geschäftsunfähig war. Daher lautet das Ergebnis nunmehr 30 : 30. Kandidat A wäre nicht wirksam in den Vorstand gewählt.
Dieses Beispiel zeigt, dass eine mögliche Geschäftsunfähigkeit nur Auswirkung hätte, wenn das Abstimmungsergebnis ganz knapp ist. In der Mitgliederversammlung kann daher darauf geachtet werden, dass die Beschlüsse mit überwiegender Mehrheit gefasst werden, sodass ein Wegfall einer Stimme nicht ausschlaggebend ist.
3. Wahrnehmung eines Vorstandsamts
Der Vorstand kann für Entscheidungen, die er trifft, in Haftung genommen werden, sodass das Vorstandsamt auch mit finanziellen Folgen verbunden sein kann. Das zur Mitgliedschaft Gesagte gilt auch für die Wahrnehmung eines Vorstandsamts. Jedes geschäftsfähige Mitglied kann in den Vorstand gewählt werden. Geschäftsunfähige Menschen hingegen nicht. Sie können den Verein nicht vertreten und nicht an rechtsverbindlichen Vorstandsbeschlüssen mitwirken. Dass in Lebenshilfe Vereinen eine geschäftsunfähige Person in den Vorstand gewählt wird, ist eher eine theoretische Frage. Denn die allermeisten Menschen mit geistiger Beeinträchtigung, insbesondere die, die sich im Verein engagieren wollen, sind geschäftsfähig.
Daher kann eine volljährige Person mit geistiger Beeinträchtigung als Selbstvertreter*in in den Vorstand gewählt werden. Mit Eintritt der Volljährigkeit ist jeder Mensch voll geschäftsfähig. Dabei gibt es keine Unterschiede zwischen behinderten und nichtbehinderten Menschen. Ein volljähriger Mensch mit Behinderung ist also genauso geschäftsfähig wie ein Mensch ohne Behinderung. Eine geistige Beeinträchtigung eines volljährigen Menschen rechtfertigt nicht den Rückschluss auf dessen Geschäftsunfähigkeit.
Die gilt auch, wenn ein Mensch rechtlich betreut wird. Denn die rechtliche Betreuung hat keine Auswirkung auf die Geschäftsfähigkeit. Daher kann auch eine rechtlich betreute Selbstvertreter*in ein Vorstandsamt wahrnehmen.
Eine rechtliche Betreuung kann für bestimmte Aufgabenkreise angeordnet werden. Aber nicht alle Aufgabekreise haben einen Bezug zur Wahrnehmung eines Vorstandsamts.
Ist für die Person eine rechtliche Betreuung z. B. mit den Aufgabekreisen Gesundheitssorge, Wohnungsangelegenheiten oder Aufenthaltsbestimmung bestellt, ist die Wahrnehmung des Vorstandsamts unproblematisch. Die Selbstvertreter*in kann im Vorstand selbst Entscheidungen treffen und selbst handeln. Insbesondere ist die rechtliche Betreuer*in in diesen Fällen nicht zuständig für Entscheidungen, die die Selbstvertreter*in in Ausübung ihres Vorstandsamtes trifft.
Wurde eine rechtliche Betreuung mit dem Aufgabenkreis Vermögenssorge, Personensorge, alle Angelegenheiten, Ausübung der vereinsrechtlichen Mitgliedsrechte oder gar Ausübung des Vorstandsamts eingerichtet, kann die Selbstvertreter*in ebenfalls selbst handeln und wirksam Entscheidungen im Vorstand treffen. Es kann aber ratsam sein, die rechtliche Betreuer*in in Entscheidungen des Vorstands mit finanziellen Auswirkungen zur Unterstützung der Selbstvertreter*in einzubeziehen. Die rechtliche Betreuungsperson ist dabei zur Geheimhaltung der Dinge zu verpflichten, die sie bei der Unterstützung der Selbstvertreter*in erfährt.
Auch rechtlich betreute Selbstvertreter*innen, für die ein Einwilligungsvorbehalt auf das sich aus dem Vorstandsamt ergebende Rechtsverhältnis (z. B. Vermögenssorge) eingerichtet wurde, können ein Vorstandsamt innehaben und wahrnehmen. Die für die Aktiengesellschaft und die GmbH geregelten Ausschlussgründe (vgl. § 6 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung – GmbHG) sind auf den Verein nicht übertragbar. Zur Übernahme des Vorstandsamts bedarf es lediglich der Einwilligung der rechtlichen Betreuer*in. Aufgrund des Einwilligungsvorbehalts ist bei Abstimmungen im Vorstand ebenfalls die Zustimmung der rechtlichen Betreuer*in erforderlich. Daher sollte die rechtliche Betreuer*in in den Vorstandssitzungen, bei denen die Selbstvertreter*in beteiligt ist, anwesend sein, sofern möglicherweise Entscheidungen im Aufgabenkreis der rechtlichen Betreuer*in getroffen werden. Alternativ können die getroffenen Entscheidungen, an denen die Selbstvertreter*in beteiligt war, im Nachgang mit der rechtlichen Betreuer*in durchgesprochen und ihre Einwilligung dazu eingeholt werden.
D.h. Vereine können entsprechende Maßnahmen ergreifen, um die rechtliche Betreuer*in in die Vorstandsarbeit einzubinden. Sie sollten diesen Umstand auch mit dem Registergericht absprechen.
Zulässig ist auch die Bestellung von Minderjährigen bzw. Jugendlichen in den Vorstand. Sie können das Vorstandsamt mit Einwilligung ihrer gesetzlichen Vertreter*innen annehmen.
Ebenso wie bei der Beschlussfassung in der Mitgliederversammlung kann auch bei der Beschlussfassung im Vorstand darauf geachtet werden, dass die Beschlüsse mit überwiegender Mehrheit gefasst werden. Und die Stimme einer unter Einwilligungsvorbehalt stehenden rechtlich betreuten Person nicht ausschlaggebend ist.
Ein Beispiel: A ist Vorstandsmitglied im Verein der Lebenshilfe. Er wird rechtlich betreut. Das Gericht hat für Vermögensangelegenheiten einen Einwilligungsvorbehalt angeordnet. In der nächsten Vorstandssitzung soll über finanzrechtliche Fragen ein Beschluss gefasst werden. A nimmt ohne seinen rechtlichen Betreuer an der Vorstandssitzung teil. Auch bei der Beschlussfassung stimmt A mit „Ja“. Das Ergebnis der Abstimmung lautet: 11 Ja-Stimmen zu 4 Nein-Stimmen. Sein rechtlicher Betreuer erteilt im Nachhinein keine Zustimmung für die Stimmenabgabe. Dies hat zur Folge, dass die Ja-Stimme des A nicht wirksam ist und somit nicht gezählt wird. Daher lautet das Ergebnis nunmehr 10 Ja zu 4 Nein-Stimmen. Die Mehrheit hat immer noch mit „Ja“ gestimmt.
Dieses Beispiel zeigt, dass eine möglicherweise unwirksame Stimmenabgabe (z. B. mangels Zustimmung durch die rechtliche Betreuer*in) nur Auswirkung hätte, wenn das Abstimmungsergebnis ganz knapp ist. In den Vorstandssitzungen kann daher darauf geachtet werden, dass die Beschlüsse mit überwiegender Mehrheit gefasst werden. Gegebenenfalls kann sich das rechtlich betreute Vorstandsmitglied in solchen Fällen auch der Stimme enthalten.
4. Empfehlungen zum Thema Vereinsleben für Menschen mit Beeinträchtigung
Menschen mit geistiger Beeinträchtigung können Mitglied in Lebenshilfe-Vereinigungen sein und das Vereinsleben aktiv mitgestalten: sei es durch ihre Geschäftsfähigkeit, sei es durch die Unterstützung ihrer rechtlichen Betreuer*in. Sie können in allen Bereichen mitwirken – in der Mitgliederversammlung, im Vorstand oder in besonderen Gremien.
Damit die Mitwirkung der Menschen mit geistiger Beeinträchtigung gelingt, können in Vorbereitung auf die Mitgliederversammlung die Einladung, die Tagesordnung und die Unterlagen zu den einzelnen Tagesordnungspunkten in einfacher oder Leichter Sprache versandt werden. Auch in der Mitgliederversammlung kann es förderlich sein, in einfacher Sprache zu sprechen. Bei der Beschlussfassung kann darauf geachtet werden, dass die Beschlüsse mit überwiegender Mehrheit gefasst werden.
Nehmen Menschen mit Beeinträchtigung ein Vorstandsamt wahr, können die Einladung, die Tagesordnung und die Unterlagen zu einzelnen Tagesordnungspunkten der Vorstandssitzungen ebenfalls in einfacher oder Leichter Sprache übermittelt werden. Gegebenenfalls können die Tagesordnungspunkte vor der Vorstandssitzung mit dem Menschen mit Beeinträchtigung besprochen und erklärt werden. Auch in der Sitzung kann in einfacher Sprache gesprochen werden. Denn alle Vorstandsmitglieder sind an die gefassten Beschlüsse und deren Folgen gebunden. Auch die Vorstandsmitglieder, die an der Beschlussfassung nicht mitgewirkt haben. Im Interesse der Vorstandsmitglieder mit Beeinträchtigung ist es daher wichtig, dass sie Inhalt und Tragweite der gefassten Beschlüsse nachvollziehen. Unabhängig davon, ob sie an der Beschlussfassung teilnehmen oder nicht. Hier kann es auch hilfreich sein, die persönliche Assistenz oder die rechtliche Betreuer*in – sofern der Aufgabekreis betroffen ist – einzubeziehen.
Ebenso kann die Satzung für die Besetzung des Vorstands eine Quote für Menschen mit Beeinträchtigung festlegen. Dann müssen zum Beispiel im Vorstand mindestens 3 Menschen mit geistiger Beeinträchtigung vertreten sein. Aufgrund der hohen Verantwortung, die das Amt des Vorsitzenden oder des Schatzmeisters mit sich bringen, könnten für diese Ämter wiederum Sonderregelungen vorgesehen werden.