1960er Jahre – das Jahrzehnt des Aufbruchs
Die 1960er Jahre kennzeichnen für die Lebenshilfe das Jahrzehnt des Aufbruchs.
In mehr als 300 Städten und Landkreisen gründen sich neue Orts- und Kreisvereinigungen der Lebenshilfe. In den ersten Sonderkindergärten und Tagesbildungsstätten werden geistig behinderte Kinder betreut und gefördert. Erfolgreich setzt sich die Lebenshilfe für eine Schulpflicht für Menschen mit geistiger Behinderung ein. Mit der Eingliederungshilfe schafft das Bundessozialhilfegesetz die Grundlage der Hilfen für behinderte Menschen. Die neugegründeten Lebenshilfe-Landesverbände verstärken die Arbeit in den einzelnen Bundesländern. Am Ende des Jahrzehnts zählt die Lebenshilfe 50.000 Mitglieder, vornehmlich Eltern behinderter Kinder, die das Vereinsleben aktiv und erfolgsreich gestalten.
Beiträge zu den 1960er Jahren
Ein Schock, der erst einmal verarbeitet werden muss – das bedeutet für viele Eltern die Geburt ihres geistig behinderten Kindes. Doch mit der Zeit des intensiven Zusammenlebens, der Pflege und Fürsorge entwickelt sich bei den meisten Eltern ein Gefühl tiefer Zuneigung für ihr Kind. Zugleich wächst ein großes Bedürfnis nach Information, Beratung und Begleitung.
Am Anfang stand ein Tabu, wie sich eine Mutter an die frühen Jahre erinnert. Vielen Eltern wurde damals erst durch die Kontakte mit anderen Eltern klar, dass sie mit ihrem „Schicksal“ nicht allein waren. Sie tauschten Informationen über Ärzte, Therapien und Einrichtungen aus und machten sich gegenseitig Mut, ihr behindertes Kind anzunehmen und zu fördern. Fachleute wollten gewonnen sein für eine partnerschaftliche Zusammenarbeit, was auch gelang.
Seit der Gründung der Lebenshilfe stellten sich namhafte Wissenschaftler und andere Experten in den Dienst der Arbeit mit behinderten Menschen. Ohne diese Solidarität wären viele Hilfe- und Förderangebote für Menschen mit geistiger Behinderung nicht möglich gewesen. In den 1960er-Jahren gehörte viel Mut dazu, einen Sonderkindergarten für behinderte Mädchen und Jungen einzurichten. Es war mühsam, eine Tagesstätte zu gründen, Personal zu finden und zu finanzieren. Und es bedurfte eines hohen organisatorischen Aufwands, um die Kinder aufzuspüren, die diese Tagesstätte besuchen sollten.
Von Anfang an arbeiteten Eltern zusammen mit Beschäftigten, Freunden und Förderern der Lebenshilfe mit großem persönlichem Engagement: Sie putzten Räume, nähten Gardinen, strichen Wände, restaurierten Möbel, kochten, bastelten Spielzeug und unterstützten das Fachpersonal bei der Aufsicht der Kinder sowie bei der Vorbereitung von Festen und Ausflügen.
Da die Fördereinrichtungen in den ersten Jahren keine eigenen Fahrzeuge hatten, mussten die Mütter, seltener die Väter, ihre behinderten Kinder oft selbst über lange Strecken und auf eigene Kosten transportieren.
Die Eltern erlebten, wie ihre Kinder aufblühten, sich neue Lernfelder eroberten und Fähigkeiten entwickelten, die ihnen kaum jemand zugetraut hatte. Über diese positiven Erfahrungen berichteten die Eltern vielen Menschen an unzähligen Orten. Damit räumten sie Widerstände aus dem Weg und überzeugten Zweifler. Mut, Entschlossenheit und Überzeugungskraft von Eltern und PädagogInnen veränderten in wenigen Jahren die Lebensumstände der Menschen mit geistiger Behinderung. Mütter und Väter, Mediziner, Juristen, Lehrer und Erzieher stellten ihre freie Zeit in den Dienst der Lebenshilfe. Sie beantworteten Fragen betroffener Eltern, überzeugten Kommunalpolitiker und warben für den Gedanken einer besseren Versorgung und Förderung dieser Kinder und Jugendlichen.
Es war eine Zeit des ständigen und intensiven Lernens. Allen Beteiligten war klar, dass die neu entstandenen Einrichtungen nicht einfach mit den Methoden geführt werden konnten, die bei herkömmlichen Kindergärten und Schulen funktionierten. Deshalb entstanden bald nach der Gründung der Lebenshilfe die ersten Fachgremien: Sozialbeirat, Wissenschaftlicher Beirat, Pädagogischer Ausschuss und Werkstattausschuss.
Flankiert wurden die fachlich orientierten Gremien durch den 1968 gegründeten Bundeselternrat. Als Selbsthilfegremium verleiht er den Eltern innerhalb des Verbandes besondere Stimme und Gewicht. Seine Mitglieder beraten die Organe der Bundesvereinigung bei allen Fragen aus der besonderen Sicht der Angehörigen. Diese Sicht auf die sozialpolitischen und fachlichen Entwicklungen ist auch durch die Mitarbeit der Elternratsmitglieder in den Fachausschüssen gewährleistet.
Bitte lesen Sie dazu auch "Eltern in der Lebenshilfe", einen Beitrag von Maren Müller-Erichsen. Maren Müller-Erichsen war stellvertretende Bundesvorsitzende der Lebenshilfe, Vorsitzende der Kreisvereinigung Gießen und ist Mutter eines Mannes mit Down-Syndrom.
Ein Hemd zuknöpfen, Schnürsenkel einfädeln, eine Schleife binden – diese Handgriffe wollen gelernt sein. Die Lebenshilfe konzentrierte sich von Anfang an auf die praktische Bildung von Menschen mit geistiger Behinderung in eigenen Kindergärten, Tageseinrichtungen und Schulen.
Ende der 1950er-Jahre gab es praktisch keine schulische Erziehung für behinderte Kinder. Sie waren ausgeschlossen, weil der Bildungsbegriff sich auf das Erlernen von Kulturtechniken wie Lesen, Schreiben und Rechnen bezog.
Bereits in ihrem ersten Rahmenprogramm 1959 hatte die Lebenshilfe gefordert, für geistig behinderte Kinder eigene schulische Einrichtungen zu schaffen. Um dieser Forderung Nachdruck zu verleihen, veröffentlichte sie 1960 eine Denkschrift über die Bildungsfähigkeit von Menschen mit geistiger Behinderung.
Für sie bedeutete „bildungsfähig“ auch, im motorischen und lebenspraktischen Bereich in seiner Selbstständigkeit unterstützt zu werden. Menschen mit geistiger Behinderung sollten nicht mehr nur verwahrt und versorgt, sondern gezielt gefördert werden. Dies konnte jedoch nicht in den staatlichen Regeleinrichtungen geschehen − das wäre nicht durchsetzbar gewesen. Dazu bedurfte es eigener Angebote . Die Lebenshilfe begab sich wenige Jahre nach ihrer Gründung auf ein völlig neues Arbeitsfeld.
Die private Tagesbildungsstätte war die erste Neugründung auf dem Weg zu einer öffentlichen Bildungseinrichtung. Die Zahl der Tageseinrichtungen verzehnfachte sich von 50 am Anfang bis auf 510 am Ende des Jahrzehnts. Die Pädagogen versuchten, nach Möglichkeit der Persönlichkeit des geistig behinderten Kindes gerecht zu werden, indem sie auf seine individuellen Bedürfnisse und Fähigkeiten eingingen.
Um die Gleichstellung geistig behinderter Kinder mit ihren Altersgenossen in ihrem Grundrecht auf Bildung zu betonen, wurden neben den Tagesbildungsstätten in den 1960er-Jahren zunehmend unabhängige Schulen für geistig Behinderte eingerichtet. Neu entstand das Fach „Geistigbehindertenpädagogik“. Die Lehrkräfte sollten im Unterricht besser auf die besonderen Lernmöglichkeiten dieser Schüler eingehen.
Zwischen 1965 und 1968 erarbeitete die Lebenshilfe erste „Empfehlungen zur Ordnung von Erziehung und Unterricht an Sonderschulen für geistig Behinderte“. Sie bildeten die Grundlage für die Einrichtung und Ausgestaltung dieser Schulform in der Bundesrepublik Deutschland. Bis Ende der 1960er-Jahre gab es in allen westdeutschen Bundesländern auch für Kinder mit geistiger Behinderung die Schulpflicht (in den ostdeutschen Bundesländern wurde sie erst 1990 eingeführt). Die meisten Sonderschulen waren in staatlicher Hand.
Aufgrund der positiven Erfahrungen aus den Schulen wagte die Lebenshilfe den nächsten Schritt und begann, Kinder mit geistiger Behinderung bereits im Vorschulalter zu fördern. Es entstanden die ersten Sonderkindergärten, in denen vor allem die stark ausgeprägten rhythmischen und musikalischen Fähigkeiten der Kinder weiterentwickelt wurden.
Schnell zeigte sich, dass der regelmäßige Kindergartenbesuch Entwicklung und Befinden der Kinder stark verbesserte. Die Mütter fühlten sich durch den Sonderkindergarten nicht nur in ihrem Alltag entlastet, sondern wurden durch den Kontakt mit anderen Eltern und Fachkräften angeregt. Auch bei den Sonderkindergärten gab es eine rasante Entwicklung. Ihre Zahl stieg von 10 im Jahr 1962 auf rund 150 im Jahr 1970.
Bildungsrecht
In der Öffentlichkeit wurde Bildung mit Lesen, Schreiben und Rechnen gleichgesetzt. Dem stellte die Lebenshilfe die "lebenspraktische Bildbarkeit" entgegen: Das emotionale Begreifen (Prof. Dr. Hans Thomae) von Kindern und Jugendlichen mit geistiger Behinderung steht im Mittelpunkt. Dieses Bildungsanrecht konnte nur durch die Einführung der Schulpflicht für sie erreicht werden. Gegen heftigen Widerstand wurde sie in den 1960er-Jahren durchgesetzt.
Bitte lesen Sie dazu auch "Zur Geschichte der Beschulung von Kindern mit geistiger Behinderung", einen Beitrag von Prof. Dr. Heinz Mühl. Prof. Dr. Heinz Mühl ist emeritierter Professor der Universität Oldenburg, Institut für Sonder- und Rehabilitationspädagogik, und "Zur Geschichte des Kindergartens", einen Beitrag von Christoph Hublow. Christoph Hublow war Direktor einer Sonderschule und langjähriges Mitglied des Pädagogischen Ausschusses der Lebenshilfe.
Eine wesentliche Grundlage der Hilfen für Menschen mit geistiger Behinderung schuf der Gesetzgeber – die Lebenshilfe hatte hier wichtige Impulse gegeben – zum 1. Juni 1962 mit dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG), das die Eingliederungshilfe festschrieb. Hatten nach dem alten Fürsorgegesetz (1924) nur „Bedürftige“ Anspruch auf staatliche Hilfe, so wurden mit dem BSHG besondere Einkommensgrenzen geschaffen, die den Kreis der Anspruchsberechtigten erheblich erweiterten. Mit der BSHG-Novelle 1974 wurde ein einheitlicher Behindertenbegriff eingeführt. Danach haben alle Menschen mit Behinderung Anspruch auf Eingliederungshilfe oder Hilfe zur Pflege; dazu gehören auch Hilfeangebote unabhängig von Einkommen und Vermögen.
Die Eingliederungshilfe soll den behinderten Menschen befähigen, sein Leben selbst zu gestalten, ihm die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft ermöglichen und ihn so weit wie möglich unabhängig von Pflege machen (BSHG, § 39, 3). Wer wie die meisten geistig behinderten Menschen nur durch gezielte Förderung eine schulische und berufliche Ausbildung durchlaufen kann, ist auf die Leistungen der Eingliederungshilfe angewiesen. Dies beginnt oft kurz nach der Geburt mit heilpädagogischen Maßnahmen und begleitet viele behinderte Menschen durch Kindergarten, Schule und Arbeitsleben bis ins Alter.
Das Bundessozialhilfegesetz formuliert einen Katalog von Leistungen, mit denen das Eingliederungsziel erreicht werden soll. Erst durch die Eingliederungshilfe, die über die individuellen Rechtsansprüche der behinderten Menschen abgerufen wird, konnten die Lebenshilfe-Einrichtungen Konzepte und Angebote für alle Lebensabschnitte entwickeln und entsprechende Dienstleistungen erbringen. Dazu zählen u.a. Frühförderung, Hilfen zur Teilhabe am Arbeitsleben, z. B. in den Werkstätten für behinderte Menschen, sowie Hilfen zum stationären und ambulant betreuten Wohnen. Die Regelungen der Eingliederungshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung sind bis heute von zentraler Bedeutung.
Bitte lesen Sie dazu auch über "Die Eingliederungshilfe im Bundessozialhilfegesetz" den Beitrag von Ulrich Hellmann und Norbert Schumacher. Ulrich Hellmann war Leiter der Abteilung Recht, Sozialpolitik und Ethik,
Norbert Schumacher ist Jurist in der Abteilung Recht, Sozialpolitik und Ethik in der Bundesgeschäftsstelle der Lebenshilfe.
Eigentlich war die Lebenshilfe von Beginn an „international“, schließlich kam ihr Gründer Tom Mutters aus den Niederlanden. Er initiierte die Zusammenarbeit auf europäischer und internationaler Ebene. Schon zwei Jahre nach der Gründung, im Jahr 1960, legte die Lebenshilfe zusammen mit ihren Schwesterorganisationen in Großbritannien und den Niederlanden die Grundlage für eine Internationale Liga von Vereinigungen für Menschen mit geistiger Behinderung (International League of Societies for Persons with Mental Handicap. Zunächst eine europäische Vereinigung, wurde sie bald eine weltweit aktive Organisation. Heute heißt sie „Inclusion International“. Mehr als 200 Vereinigungen in 115 Ländern sind Mitglied. „Inclusion Europe“ heißt der sehr aktive Zusammenschluss auf europäischer Ebene. Die Bundesvereinigung Lebenshilfe ist in führenden Gremien vertreten.
Seit den 1960er-Jahren beteiligte sich die Lebenshilfe auch an internationalen Fachtagungen und Kongressen. 1975 lud sie z.B. in Marburg zum Symposium „Geistige Behinderung, Partnerschaft, Sexualität“ ein.
In den 1970er-Jahren schloss die Lebenshilfe ihre ersten Kooperationen mit Initiativen und Projekten in verschiedenen Regionen der Welt. HospitantInnen vor allem aus der sog. Dritten Welt lernten in den Einrichtungen in Deutschland die Arbeit der Lebenshilfe kennen. Fachleute aus Lebenshilfe-Einrichtungen gaben in sog. Entwicklungsländern ihre vielfältigen Erfahrungen mit geistig behinderten Menschen in Deutschland weiter. Überall in den Partnerländern der Lebenshilfe ist bis heute die Berücksichtigung des landesspezifischen soziokulturellen Hintergrundes wichtig.
Mit der politischen Wende in den sozialistischen Ländern 1989/90 orientierte sich die Lebenshilfe noch stärker in Richtung Osteuropa. Dort lebten die Menschen mit geistiger Behinderung häufig in katastrophalen Verhältnissen. Die Lebenshilfe gründete Partnerschaften mit den sich entwickelnden Selbsthilfeorganisationen u. a. in Russland, Weißrussland, der Ukraine der Slowakei und Tschechien.
2005 formulierte die Lebenshilfe in ihrem Wegweiser:
„Die Lebenshilfe fühlt sich in dieser Einen Welt solidarisch mit behinderten Menschen und ihren Familien überall auf der Welt. Das bedeutet auch, dort aktiv zu werden, wo unsere Hilfe besonders gebraucht wird.“
Dafür stehen praktische Hilfsprojekte in Osteuropa und Ländern der sog. Dritten Welt.
Im Rahmen von „Inclusion International“ wirkte die Lebenshilfe an der Formulierung der 2007 erschienenen UN-Konvention für die Rechte von Menschen mit Behinderung mit.
Bitte lesen Sie dazu auch "Die internationale Arbeit der Lebenshilfe", einen Beitrag von Harald Kolmar. Harald Kolmar war Referent für Internationale Hilfen in der Abteilung Konzepte in der Bundesgeschäftsstelle der Lebenshilfe
Große Bedeutung für behinderte Menschen und ihr Bild in der Öffentlichkeit hatte die Gründung der „Aktion Sorgenkind“, heute „Aktion Mensch“.
Erstmals in der Bundesrepublik Deutschland wurde in den frühen 1960er-Jahren in der Öffentlichkeit intensiv über die Situation zivil-behinderter Menschen diskutiert. Anlass war die „Contergan-Affäre“. Rund 5000 Kinder waren mit Behinderungen zur Welt gekommen, nachdem ihre Mütter während der Schwangerschaft das Beruhigungsmittel Thalidomid eingenommen hatten. Der Fall zeigte, dass Behinderung nicht nur persönliches Schicksal ist, sondern auch gesellschaftliche Aspekte aufweist.
Diesen Faden griff das 1963 gegründete Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF) mit ihrem Intendanten Karl Holzamer auf. Am 9. Oktober 1964 lief zum ersten Mal die Sendung „Aktion Sorgenkind“ mit Moderator Hans Mohl. Eindringlich und authentisch berichtete er über das Leben behinderter Kinder in Deutschland. Die „Aktion Sorgenkind“ sammelte Spenden und Lotterie-Erlöse aus der ZDF-Show „Vergißmeinnicht“ mit Peter Frankenfeld. Die Lebenshilfe war von Anfang an dabei, die ersten Gelder flossen in eines ihrer Projekte. In den 1970er-Jahren rührte der ehemalige Sportmoderator Wim Thoelke mit seinen Quizsendungen „Drei mal Neun“ und „Der große Preis“ die Werbetrommel. Das 1978 eingeführte Jahreslos katapultierte das Einspielergebnis der Lotterie erstmals auf über 100 Millionen DM. Heute spielt sie jährlich etwa 450 Millionen Euro ein.
Der Lebenshilfe fließt im Schnitt rund ein Fünftel des Zweckertrags der Lotteriemittel zu. Jährlich bearbeitet die Bundesvereinigung Lebenshilfe 3000 Anträge auf Förderung aus diesen Mitteln, die alle den Gremien der im Jahr 2000 in „Aktion Mensch“ umbenannten Einrichtung vorzulegen sind. Die Richtlinien der Aktion Mensch werden ständig weiterentwickelt. So trägt die Aktion Mensch nicht mehr nur zur Finanzierung von Fahrzeugen und Heimen bei; Familien, gemeindenahe Einrichtungen, ambulante und Familienunterstützende Dienste und auch Maßnahmen zur Aufklärung der Öffentlichkeit gehören dazu. Das Hauptziel heißt Hilfe zur Selbsthilfe; die behinderten MitbürgerInnen sollen so lange wie möglich ein eigenständiges und unabhängiges Leben führen können.
Seit einigen Jahren führt die „Aktion Mensch“ groß angelegte Aufklärungskampagnen durch. Dazu gehören u.a.
- die Ausstellung „Der (im-)perfekte Mensch“ (2000),
- das „1000-Fragen-Projekt“ über Bioethik (2002)
- die Kampagne „In was für einer Gesellschaft wollen wir leben?“ (2006/07).
Lebenshilfe-Gründer Tom Mutters, Mitinitiator der „Aktion Sorgenkind“, gehörte 1964 bis 1993 dem Kuratorium und dem dreiköpfigen Vorstand an. Seither wirken immer auch Lebenshilfe-Vertreterinnen und -Vertreter in den Führungsgremien der heutigen „Aktion Mensch“ mit.
Bitte lesen Sie dazu "Aktion Mensch - eine Erfolgsstory auch für die Lebenshilfe", einen Beitrag von Dr. Bernhard Conrads. Dr. Bernhard Conrads war Bundesgeschäftsführer der Lebenshilfe und Vorstandsmitglied der Deutschen Behindertenhilfe Aktion Mensch e.V.
1962 fand die erste Ordentliche Mitgliederversammlung der Lebenshilfe statt. Zum Bundesvorsitzenden wurde Prof. Dr. Richard Mittermaier aus Bad Homburg gewählt. Dem neugewählten Bundesvorstand gehörten Siegfried Brockhaus (Mannheim), Mathilde Eller (München), Willi Hartschen (Solingen), Bert Heinen (Bonn), Alexandra Klausa (Köln), Werner Krause (Marburg), Tom Mutters (Marburg) und Wolfgang Uhde (Hamburg) an.
1962 hatte die Lebenshilfe bereits 6000 Mitglieder in 56 Orts- und Kreisvereinigungen. Sie betreute 150 Kinder in zehn Sonderkindergärten, 1700 geistig behinderte Kinder und Jugendliche in 50 Schulen bzw. Tagesbildungsstätten und 500 Personen in 17 Werkstätten für Behinderte. Ende der 1960er-Jahre hatten sich die Betreuungszahlen fast verzehnfacht.
Ab 1967 kooperierte die Lebenshilfe in der Bundesarbeitsgemeinschaft „Hilfe für Behinderte“ (heute: Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung und ihren Angehörigen) mit zahlreichen anderen Behindertenverbänden wie dem Spastikerverband (heute: Bundesverband für Körper- und Mehrfachbehinderte e.V.). Im Werkstattbereich bildete die Bundesarbeitsgemeinschaft „Werkstatt für Behinderte“ (heute: Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen e.V.) eine wichtige Plattform.
Regelmäßige Kontakte wurden in den 1960er-Jahren zu den konfessionellen und anthroposophischen Fachverbänden aufgenommen. Ab 1978 fanden regelmäßige Kontaktgespräche der Bundesvereinigung Lebenshilfe mit dem Verband für anthroposophische Heilpädagogik, Sozialtherapie und soziale Arbeit, dem Bundesverband evangelische Behindertenhilfe sowie der Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie sowie seit 2005 dem Bundesverband für Körper- und Mehrfachbehinderte statt.
Nach der Initialzündung durch die Gründung der Bundesvereinigung und dem Entstehen vieler örtlicher Vereinigungen bildeten sich die Landesverbände. Sie vertreten die Interessen behinderter Menschen und ihrer Angehörigen auf Länderebene. Zu Beginn der 1990er-Jahre folgten die Landesverbände in den ostdeutschen Bundesländern.
1960 Berlin, Hamburg
1961 Bremen
1962 Bayern, Niedersachsen
1963 Rheinland-Pfalz
1964 Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein
1965 Hessen
1966 Saarland
1990 Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen
Das Jubiläum „zehn Jahre Lebenshilfe“ im Jahr 1968 gab nicht nur Anlass zu einem Festakt in Würzburg, sondern auch zu einer Bilanz:
In einem Jahrzehnt hatte sie viel erreicht: Es gab inzwischen 312 Orts- und Kreisvereinigungen sowie Landesverbände in allen elf damaligen Bundesländern. Die Lebenshilfe zählte rund 38 000 Mitglieder und förderte 18 500 Menschen mit geistiger Behinderung.
In echt demokratischer Weise ist diese
Vereinigung in eine Lücke eingesprungen,
die nach dem Kriege bestand, und hat sie ausgefüllt.
Käte Strobel, Bundesgesundheitsministerin (1968)
Der damalige Bundesvorsitzende Prof. Dr. Eberhard Schomburg skizzierte 1968 einen Plan, den die Lebenshilfe im folgenden Jahrzehnt umsetzen sollte. So sollte sich u.a. die Mitgliederzahl auf 60 000 erhöhen (1975 waren es bereits 80 000). Auch der von Schomburg geforderte beträchtliche Ausbau der Einrichtungen (Sonderkindergärten, Tagesbildungsstätten, Werkstätten) wurde sogar noch übertroffen.
Die Lebenshilfe entwickelte sich so dynamisch weiter, wie sie 1958 im kleinen Kreis begonnen hatte.
Am 14.September 1968 wurde der Elternbeirat – wie das Gremium damals hieß – der Bundesvereinigung Lebenshilfe mit tatkräftiger Hilfe von Bundesvorstand und Bundeskammer in Frankfurt gegründet. Die Gründung erfolgte, „um der Stimme der Eltern in der gesamten Lebenshilfe das ihr zukommende Gewicht zu geben, wie es auf S.1 des Gründungsprotokolls heißt. In dieser Gründungssitzung wurde Herr Professor Dr. Mittermaier als Vorsitzender gewählt. Mit Gründung des Elternbeirats wurde ein Schritt vollzogen, der in § 10 der neuen Satzung der Lebenshilfe Bundesvereinigung vom Februar 1968 bereits verankert war:
„Um Belange der Eltern in der Arbeit des Vorstandes und seiner Ausschüsse zu wahren, wird ein Elternbeirat gebildet, der aus höchstens 15 Mitgliedern besteht. Jeder Landesverband benennt ein Mitglied; weitere Mitglieder kann der Bundesvorstand berufen.“
Was also sind Elternbelange?
Bei Gründung „unseres“ Gremiums haben Eltern es als ihre selbstverständliche Aufgabe und ihnen obliegende Notwendigkeit angesehen, die Interessen „ihrer Kinder“ in der Öffentlichkeit, in der Gesellschaft in der Politik zu vertreten und sich für die Belange der Menschen mit geistiger Behinderung, insbesondere ihrer Rechte, zu lernen, zu arbeiten und Mitten in der Gesellschaft zu leben, einzusetzen. Ganz selbstverständlich haben Eltern für ihre Töchter und Söhne, für „die“ Menschen mit geistiger Behinderung gesprochen und sich als Wahrer ihrer Interessen zu Wort gemeldet. Und das ohne Unterschied, ob sie noch Kinder, Jugendliche oder längst erwachsene Menschen waren.
Bitte lesen Sie dazu auch "Der Bundeselternrat wird 40", einen Beitrag von Monika Geis. Monika Geis ist Vorsitzende des Bundeselternrats der Lebenshilfe.
Die Vorsitzenden des Eltenrates:
1968 - 1974 Prof. Dr. Richard Mittermaier
1974 - 1980 Eduard Züghart
1980 - 1983 Ingeborg Thomae
1983 - 1985 Eduard Züghart
1985 - 1994 Maren Müller-Erichsen
1994 - 2002 Gertrud Bicanski-Schilgen
2002 - Monika Geis
Von Anfang an bildete die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit einen wichtigen Pfeiler der Lebenshilfe-Aktionen. Um Eltern, Fachleute, Politiker und die gesamte Öffentlichkeit von der Notwendigkeit der Förderung geistig behinderter Menschen zu überzeugen, erschienen schon bald eigene Publikationen: Informationsblätter, Zeitschriften, Handbücher und sonstige Veröffentlichungen. Den Anfang bildeten 1960 ein Werbeheft und ein Rahmenprogramm. Der von Tom Mutters bereits 1959 verfasste Bericht über „Beschützende Werkstätten für Behinderte“ erschien als Nr. 3 der Lebenshilfe-Veröffentlichungen.
Ab 1962 gab die Bundesvereinigung die Vierteljahresschrift „Lebenshilfe“ heraus, ab 1966 erschienen die „Briefe an Eltern“, Erziehungshilfen für das geistig behinderte Kind. Als Verbandsorgan dienten die „Mitteilungen“.
1980 erfolgte eine Neustrukturierung der Lebenshilfe-Periodika. Die neue „Lebenshilfe-Zeitung“ erschien sechsmal jährlich. Das Blatt wendet sich vor allem an Eltern und Angehörige von Menschen mit geistiger Behinderung. Auch als Informations- und Diskussionsforum für alle in der Lebenshilfe zusammengeschlossenen Gruppierungen ist die „Lebenshilfe-Zeitung“ wichtig. Sie erscheint heute viermal jährlich in einer Auflage von 125 000 Exemplaren; seit 1987 liegt ihr ein „Magazin“ bei, das sich in einfacher Sprache und mit vielen Illustrationen an Menschen mit geistiger Behinderung richtet.
Die ebenfalls 1980 gegründete Fachzeitschrift „Geistige Behinderung“ veröffentlicht Beiträge namhafter Autor(inne)en aus Pädagogik, Psychologie, Soziologie, Medizin und Rechtswissenschaften. Sie wendet sich vor allem an Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Einrichtungen, an Studierende und Lehrende sowie an Fachleute und interessierte Eltern.
Zum heutigen Informationsspektrum der Lebenshilfe gehören außerdem ein Internet-Angebot (auch mit Informationen in leichter Sprache für Menschen mit geistiger Behinderung, bis Ende 2007 unter dem Namen „lebenshilfe-angesagt“ ), Newsletter, Positionspapiere, Rechts- und Fachdienst, die Veröffentlichungen des Lebenshilfe-Verlags sowie Filme.
Die Jahre:
Menschen: Ingeborg Thomae (1915 - 1983)
Mitgründerin der Lebenshilfe Erlangen,
ab 1960 im Vorstand der Lebenshilfe Bonn, ab 1965 deren erste Vorsitzende,
Mitarbeit bei der Gründung des Landesverbandes Nordrhein-Westfalen,
seit 1965 Mitglied des Pädagogischen Ausschusses der Bundesvereinigung Lebenshilfe,
1974 - 1980 stellvertretende Bundesvorsitzende der Lebenshilfe,
1980 - 1983 Vorsitzende des Elternrats der Bundesvereinigung Lebenshilfe.
"Tatsächlich ist es heute nur noch schwer vorstellbar, wie die Lebenssitutation der Familien mit ihren geistig behinderten Kindern in den 50er Jahren aussah, und welche Wirkung deshalb die Gründung der Lebenshilfe auf die betroffenen Familien hatte ..." Ingeborg Thomae 1983
Ereignisse:
Die Lebenshilfe ist Mitgründerin der „Internationalen Liga von Vereinigungen für Menschen mit geistiger Behinderung", heute „Inclusion International“.
Tom Mutters wird hauptamtlicher Lebenshilfe-Geschäftsführer.
Gründung der Landesverbände Berlin und Hamburg
1 500 Mitglieder
Ereignisse:
Erste Studientagung in Hannover:
„Methodik und Praxis der Bildungsarbeit in Tageseinrichtungen für geistig behinderte Kinder“.
Gründung des Landesverbands Bremen
Ereignisse:
Zweite Studientagung in Düsseldorf: „Die Beschützende Werkstatt für geistig Behinderte“.
Auf der ersten Ordentlichen Mitgliederversammlung wird Prof. Dr. Richard Mittermaier zum Bundesvorsitzenden gewählt
Bundesvorstand:
Prof. Dr. R. Mittermaier (Bundesvorsitzender)
Siegfried Brockhaus
Mathilde Eller
Willi Hartschen
Bert Heinen
Alexandra Klausa
Werner Krause
Dr. h.c. Tom Mutters
Wolfgang Uhde
Gründung der Landesverbände Bayern und Niedersachsen
Die Vierteljahreszeitschrift „Lebenshilfe“ erscheint zum ersten Mal
Ereignisse
3. Studientagung in Mainz: "Frühe Hilfe für das geistig behinderte Kind aus medizinischer, psychologischer und pädagogischer Sicht"
Gründung des Landesverbands Rheinland-Pfalz
Ereignisse:
4. Studientagung in Frankfurt: „Elternhaus und Einrichtung für geistig Behinderte als Erziehungseinheit“
Tom Mutters ist Mitinitiator der „Aktion Sorgenkind"
Gründung der Landesverbände Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein
Die „Arbeitsgemeinschaft Seelsorge" wird ins Leben gerufen
Ereignisse:
2. Ordentliche Mitgliedersammlung
Bundesvorstand:
Prof. Dr. R. Mittermaier (Bundesvorsitzender)
Dr. Heinz Bach
Bert Heinen
Werner Krause
Hans-Paul Mardorf
Dr. h.c. Tom Mutters
Dr. H. Niekisch
Dr. Else Opp
Prof. Dr. E. Schomburg
Ereignisse:
5. Studientagung in Heidelberg: „Die schulische Förderung des geistig behinderten Kindes"
Die "Briefe an Eltern", Erziehungshilfen für das geistig behinderte Kind, erscheinen zunächst in loser Reihenfolge, ab 1969 (Brief 10) vierteljährlich, ab 1978 mit der Nr. 38 im orangenen Umschlag
Gründung des Landesverbands Saarland
Ereignisse:
Ab 1967 kooperierte die Lebenshilfe in der Bundesarbeitsgemeinschaft "Hilfe für Behinderte" (heute: Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe e.V.) mit zahlreichen anderen Behindertenverbänden wie dem Spastikerverband (heute: Bundesverband für Körper- und Mehrfach-
behinderte e.V.).
Im Werkstattbereich bildete die Bundesarbeitsgemeinschaft "Werkstatt für Behinderte" (heute: Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen e.V.) eine wichtige Plattform.
Menschen:
Eberhard Schomburg
Bundesvorsitzender der Lebenshilfe von 1968 bis 1975
Ereignisse:
Sechste Studientagung in Würzburg: "Der geistig behinderte Jugendliche in Familie, Arbeit und Gesellschaft“.
Dritte Ordentliche Mitgliederversammlung
Prof. Dr. Eberhard Schomburg wird zum Bundesvorsitzenden gewählt.
Bundesvorstand:
Prof. Dr. Eberhard Schomburg (Bundesvorsitzender)
Prof. Dr. Heinz Bach
Georg Gries
Prof. Dr. H. Harbauer
Bert Heinen
Hans-Paul Mardorf
Prof. Dr. Richard Mittermaier
Else Opp
Ehrenvorsitzender:
Prof. Dr. Mittermaier
Die Bundesvereinigung Lebenshilfe feiert ihr zehnjähriges Bestehen mit einem Festakt in Würzburg
Gründung des Bundeselternrats
Namensänderung in: „Bundesvereinigung Lebenshilfe für geistig Behinderte e.V."
312 Orts- und Kreisvereinigungen
38 000 Mitglieder
90 Sonderkindergärten - 1700 betreute Kinder
275 schulische Einrichtungen - 11400 betreute Kinder
140 Werkstätten für Behinderte - 5300 betreute Menschen
6 Wohnheime - 105 betreute Menschen