Zwei Männer in der Tischlerei.
© Lebenshilfe/David Maurer
Wie erreichen wir mehr Inklusion im Arbeitsleben?
Im Gespräch mit Manuela Hönig-Burger
© Lebenshilfe Berlin
Im Gespräch mit Manuela Hönig-Burger

Im Gespräch mit Manuela Hönig-Burger. Sie baut aktuell den neuen Geschäftsbereich Arbeit, Berufsbildung, Tagesstruktur bei der Lebenshilfe Berlin auf. Ihr Leitziel: Wir leben Inklusion – eine faire Gesellschaft braucht alle.

Was wünschen sich Menschen mit Beeinträchtigung? Menschen mit Teilhabe-Beeinträchtigungen erwarten von uns einen Rahmen, in dem sie sich entwickeln und ihr Wahlrecht ausüben können: Möchte ich im allgemeinen Arbeitsmarkt, auf einem betriebsintegrierten Arbeitsplatz oder in einer Werkstatt arbeiten? Es ist unsere Aufgabe, sie auf diesem Weg zu begleiten. Wir müssen ihnen alles vorstellen, Bildungsangebote schaffen und uns auf den Weg machen, dass sie im allgemeinen Arbeitsmarkt Plätze finden, am besten gleich über betriebsintegrierte Ausbildungsplätze. Viele Menschen im Berufsbildungsbereich und ihre Eltern fragen danach.

Wie können mehr Menschen mit Beeinträchtigung im allgemeinen Arbeitsmarkt arbeiten? Welche Begleitung ein Mensch braucht, ist individuell sehr verschieden. Insgesamt gibt es einen enormen Beratungsbedarf. Wir haben zwar das Angebot der Ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung, aber oft sind Jobcenter und Arbeitsagenturen die erste Anlaufstelle. Hier wird meiner Ansicht nach jedoch noch viel zu häufig ausschließlich in Richtung Werkstatt beraten. Aber auch Werkstätten selbst müssen viel mehr in die Akquise gehen und Kontakte zu Arbeitgebern aufnehmen: Wir müssen zeigen, dass wir Menschen begleiten, die sich für einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz interessieren. Und wir müssen fragen, was braucht ihr von uns, wie können wir euch beraten und stärken? In der nbw (Werkstatt für Menschen mit Beeinträchtigung) sehe ich, dass die Job Coaches gern betriebsintegrierte Ausbildungsplätze suchen würden, aber aufgrund der aktuellen Rahmenbedingungen kaum Kapazität dafür haben. Es gibt noch viel zu wenig finanzierte Bausteine, um die Übergänge gut begleiten zu können. Wir machen uns gern auf den Weg, können es aber nicht umsonst machen. An dieser Stelle braucht es deutlich mehr Lobbyarbeit in Richtung Politik!

Wie will die Lebenshilfe Berlin mehr Inklusion im Arbeitsleben erreichen? Wir sind dabei, den neuen Geschäftsbereich Arbeit, Berufsbildung, Tagesstruktur zu etablieren und engagieren uns in der nbw und dem Inklusionsunternehmen nobis, um Werkstatt im Sinne echter Teilhabe im Arbeitsleben weiterzuentwickeln. Zusätzlich wollen wir betriebsintegrierte Arbeitsplätze in der Lebenshilfe Berlin und in den Tochterunternehmen schaffen und möglichst in Arbeitsverhältnisse auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt umwandeln. Darüber hinaus möchte ich sehr gern die Fachpraktiker-Ausbildung Hauswirtschaft weiterentwickeln und Absolventen zukünftig die Chance bieten, sie auch einstellen. Wir müssen die Stärke des Lebenshilfe Verbunds nutzen. Der Geschäftsbereich Arbeit hat den Auftrag, an vielen Stellen anzuknüpfen – von der sozialen Teilhabe im Beschäftigungs- und Förderbereich bis hin zur Teilhabe an Arbeit. Im Sinne der personenzentrierten Leistungserbringung stärken wir Menschen, ihr Wunsch- und Wahlrecht auszuüben. Das ist für mich der Schlüssel zum Empowerment.

Wie muss sich Werkstatt verändern? Sie muss sich darauf konzentrieren, was sie gut kann, nämlich Reha- und Eingliederungshilfe-Leistungen weiterentwickeln, damit die Menschen, die dort arbeiten, wählen können. Sie muss viel kleiner werden und Unternehmen ansprechen, damit die Menschen raus kommen aus der Werkstatt, und nach interessanten Arbeitsfeldern gucken. Wie entwickelt sich der Arbeitsmarkt? Wo sind gute Beschäftigungsmöglichkeiten? Die Pauschallösung gibt es nicht, wir müssen uns auf Einzellösungen konzentrieren, eben personenzentriert! Überspitzt gesagt: Ziel einer Werkstatt muss sein, nicht mehr gebraucht zu werden. Über dieses Paradox können wir kreative Lösungen finden, die viel mehr Menschen mit einer Teilhabebeeinträchtigung in den allgemeinen Arbeitsmarkt bringen. Das braucht Mut – auch für die Lebenshilfe als Arbeitgeberin. „Wir leben Inklusion - eine faire Gesellschaft braucht alle“ ist mein Leitstern. Das Bestmögliche herauszuholen für die Menschen, die wir begleiten, ist der Sinn und Zweck der Lebenshilfe Berlin. Dafür müssen wir alle an einem Strang ziehen.

Wie kann Teilhabe am Arbeitsleben für Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf ermöglicht werden? Wir müssen weg vom Begriff „Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeit“, weil er Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf ausschließt. Der Arbeitsbegriff muss sich verändern in Richtung sinnstiftende Tätigkeit. Das Ziel ist vielleicht nicht unbedingt, Menschen mit hohem und komplexem Unterstützungsbedarf auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu bringen, aber im Rahmen der sozialen Teilhabe gibt es viele kleine Wege, Teilhabe mit arbeitsähnlichen Angeboten zu schaffen. Es geht nicht um verwertbare Arbeit, sondern das Gefühl, etwas geschafft zu haben, den gesamten Produktionsprozess vom Anfang bis zur Auslieferung im Sozialraum mitzumachen. Mit ihren kiezorientierten Arbeitsangeboten, mit der bundesweiten Vernetzung im Arbeitskreis „Bildung ist Teil habe“ (AKBIT) ist die Tagesförderstätte Neukölln hier beispielsweise ein Leuchtturm. Auch die Tagesförderstätte Charlottenburg ist mit ihrem Bildungskonzept auf einem guten Weg. Wenn ich ein Bildungskonzept an Menschen mit komplexer Behinderung anpasse, bedeutet es, dass ich mir Gedanken mache, wie die Menschen auch an arbeitsähnlichen Angeboten teilhaben können. Wir sollten nutzen, was aktuell in der Gesellschaft an Transformationspotential vorhanden ist. Arbeit wird sich verändern, und der Sinn von Arbeit wird sich verändern. Ich glaube, dass wir so eine Chance haben, auch für Menschen mit hohem komplexen Teilhabe bedarf Räume zu schaffen, in denen sie sich verwirklichen können.

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